TWA ND 6

Leider sind wir nicht dazugekommen, einige wichtige Passagen im Kap. II des 1. Teils genauer zu diskutieren; nur weil mir, als Ich aufgefordert wurde, nun doch einmal genau zu zeigen, wo denn nun A. Heidegger Unrecht tut, diese Stelle nicht sofort eingefallen ist, sei das nun hier nachgeholt.

Es geht um die beiden Absätze S. 130ff. A. zitiert hier aus den Anfangsseiten von Heideggers „Sein und Zeit“, also aus der „Einleitung“, in der klar gesagt wird, daß es hier nur um einen „Vorgriff“ auf die „nachkommenden und erst eigentlich aufweisenden Analysen“ geht. Es ist also schon nicht sehr seriös von A., nur diese einleitend-vorgreifenden Passagen einer fundamental gedachten Heidegger-Kritik zu Grunde zu legen. Noch weniger seriös ist es aber, dies mit Begrifflichkeiten zu tun, von denen bei Heidegger an keiner Stelle die Rede ist: „Bewußtsein“, „Subjektivität“, „Denken“. Gegen den Heideggerschen Ansatz nochmal genau jenen (hegelschen) traditionellen Begriffsapparat zu mobilisieren, den er hinter sich lassen will, zeugt nicht von großer hermeneutischer Ernsthaftigkeit. Heidegger spricht dagegen – sehr bewußt – von „Dasein“, und von „Verstehen“. Man müßte daher nun fast jeden einzelnen Satz von A. „zurückübersetzen“ in den Ursprungskontext, und könnte dann vermutlich problemlos zeigen, wie sehr er sich hier einen Kontrahenten zurechtfabriziert, den er (nur) mit seinen eigenen Begrifflichkeiten des Widerspruchs überführen kann.

Nur exemplarisch:
1) A.: „Seine Mehrdeutigkeit [sc. die des Begriffs Subjektivität] gestattet es, Dasein einer Seinsweise des Seins gleichzusetzen und die ontologische Differenz wegzuanalysieren“.
H. hingegen spricht gar nicht von „Subjektivität“, und „setzt auch nichts gleich“, sondern bezeichnet das (vorher so unspezifisch genannte) „Sein“, um das es dem „Dasein“ geht, zu dem es sich verhält, als „Existenz“. Dieses besondere „Sein“, das nur behelfsmäßig, vor dieser Definition, so heißt, ist eben kein „Sein“ mehr, (es wird nicht „gleichgesetzt“), sondern es ist nur begreifbar mit dieser besonderen Auszeichnung als „Existenz“. Die „ontologische Differenz“ wird dadurch also nicht „weganalysiert“, sondern gerade eingeführt.

2) A.: „Dadurch, daß das Subjekt bestimmt ist durch Bewußtsein, ist nicht auch das an ihm gänzlich Bewußtsein, durchsichtig, ‚ontologisch‘, woran Bewußtsein unablöslich haftet“
H., der weder von Subjekt noch von Bewußtsein spricht, sagt lediglich, daß das Dasein, weil es ihm um sich selbst geht (weil der Mensch eine besondere Beziehung zu seinem eigenen Seinkönnen hat), schon „an sich selbst“ eine quasi-ontologische Struktur hat („ontologisch“ steht in Anführungszeichen bei H.!); es ist schon durchweg mit dem Verstehen seines Seins „beschäftigt“, es muß sich dauernd mit seinen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten selbst auseinandersetzen. Diese je eigene Seinsweise braucht dafür keine „Wissenschaft vom Sein“, also keine Ontologie, sie braucht auch keine Philosophie (schon gar keine von A.), sondern sie „ist“ bereits immer schon mit „Ontologie“ befaßt: „Die ontische Auszeichnung des Daseins liegt darin, daß es ontologisch ist“ (SuZ, S. 12). Das ist nämlich genau der Hauptpunkt von H., den A. einfach nicht wahrhaben will: der Mensch, das Subjekt, das Individuum, das Dasein (whatever) BRAUCHT keinen Philosophen, der ihr per Dialektik und mit den tradtionellen philosophischen Begriffen (Bewußtsein, Subjektivität, usw.) nachweist, wie „vermittelt“ es doch immer schon ist. Daher ist auch das Folgende ein ziemlich platter Einwand:

3) A. „Kein Etwas, nur Sätze könnten überhaupt ontologisch sein“.
Denn das stimmt eben nur im Kontext der von A. hier aufgefahrenen Tradition, die Ontologie immer nur als Wissenschaft, als Methode, als Disziplin, als „wohlgeformten Protokoll-Satz“ auffasst. H. spricht aber von einer „vor-ontologischen Ontologie“, von einem nicht in Sätze zu fassenden „Um-sich-Selbst-Wissen“, einem „Sich-selbst-erschlossen-Sein“, das so weit von jeder traditionellen Ontologie entfernt ist, daß sie diese erst möglich macht.

4) A.: „Das Individuum, das Bewußtsein hat, und dessen Bewußtsein nicht wäre ohne es, bleibt raumzeitlich, Faktizität, Seiendes; nicht Sein“.
Und hier sieht man nun deutlich, worauf es bei A. eigentlich hinaussoll: dem Individuum soll das Recht auf Besonderheit, auf Eigenständigkeit, auf Eigenwert, auf „Wesenheit“ abgesprochen werden. A. outet sich an dieser Stelle – etwas vergröbernd gesagt – endgültig als Anti-Individualist und als Kollektivist. „Daß dies Seiende [man darf sich „dies Seiende“ ziemlich abschätzig gesagt denken!] denken kann, genügt nicht, es seiner Bestimmung als eines Seienden zu entkleiden, als wäre es unmittelbar wesenhaft“. Diese nichtswürdigen Seienden sind für A. vermutlich genau die „vielen Menschen“, bei denen „es  bereits eine Unverschämtheit [ist], wenn sie Ich sagen.“ (Minima Moralia S. 57). Hier steht A. (was immer er auch anderswo Gegenteiliges sagen mag) eindeutig auf der Seite derer, die das Individuum abwerten, einreihen, down-graden, aufs Allgemeine reduzieren wollen. Genau das ist dann die Stoßrichtung im nächsten Absatz, in dem nicht nur abgelehnt wird, zuzugeben, daß das „individuelle Bewußtsein“ (und nochmal: H. spricht NICHT von Bewußtsein) „irgendeinem andern vorgängig sein soll“, sondern wo auch dann dieser apodiktische Satz fällt: „Gesellschaft ist vor dem Subjekt“. Klingt das nicht nach „Du bist nichts, dein Volk ist alles“? Und nach „Die Partei hat immer Recht“?
Heideggers Auszeichnung des Je-Einzelnen in seiner Je-Meinigkeit als irreduzible „Existenz“ liest sich hingegen vor diesem Hintergrund wie eine antitotalitäre, liberaldemokratische Schutzvorschrift gegen jegliche Vereinnahmung durch anderes „Seiendes“, und sei es die „seiende“ Gesellschaft.

 

 

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

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