GWFH GdPdR 4: Die aufgeopferten Einzelnen – Hegel und die Klöster

Sehr verlacht und als disqualifizierend angesehen wurde meine Vermutung, daß Hegel mit seinem Verweis auf die scheiternde historistische Rechtfertigung der Klöster (24), die nicht verhindern würde, daß sie nun als „überflüssig und unzweckmäßig“ gelten, eigentlich im Subtext sagen will, daß man sie anders, nämlich begrifflich und am „objektiven Geist“ orientiert, sehr wohl legitimieren kann. Meine Vermutung findet Bestätigung in einer Stelle in der Vorrede zur Wissenschaft der Logik, wo H. den Untergang der Metaphysik beklagt und dabei auch den der Theologie:“Die Theologie, welche in früheren Zeiten die Bewahrerin der spekulativen Mysterien und der obzwar abhängigen Metaphysik war, hatte diese Wissenschaft gegen Gefühle, gegen das Praktisch-Populäre und gelehrte Historische aufgegeben. Welcher Veränderung entsprechend ist, daß anderwärts jene Einsamen, die von ihrem Volke aufgeopfert und aus der Welt ausgeschieden wurden, zu dem Zwecke, daß die Kontemplation des Ewigen und ein ihr allein dienendes Leben vorhanden sei – nicht um eines Nutzens, sondern um des Segens willen -, verschwanden“. Heinz Röttges weist auf diese Stelle hin und spricht von einem „bei Hegel irritierenden Bedauern über die Säkularisierung der Klöster“ (Das Problem der Wissenschaftlichkeit der Philosophie, Würzburg 1999, S. 548).

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

3 Antworten zu GWFH GdPdR 4: Die aufgeopferten Einzelnen – Hegel und die Klöster

  1. Maren Lehmann sagt:

    Man kann zwar nur mutmaßen (oder?), dass hier die protestantische Theologie gemeint ist, die Hegel am Tübinger Stift auch selbst studiert hatte. Aber die Säkularisierung der Klöster – gemeint ist die Enteignung des Kirchen- und Ordensbesitzes – war ein politischer, kein theologischer Akt. Er wurde nur seitens der protestantischen Theologie (wie sich zeigen sollte: verfrüht) als Sieg über die römisch-katholische Konfession begrüßt – der sich dann im Gegenzug die deutschnationalen Romantiker unter Protest gegen Napoleon angeschlossen haben.

    Hegel verwendet daher meines Erachtens keinen grundbegrifflichen Einwand, sondern einen historischen: Für den Fortbestand der Klöster hätte es auch andere als nur ökonomische Gründe gegeben (und gibt es weiter), insbesondere aber wäre eine größere theologische Klugheit auf protestantischer Seite angebracht gewesen. Deren Blamage stand Hegel am Potsdamer Hof und damit auch an der Berliner Universität vor Augen, ebenso wie der katholisierende Kitsch der Romantiker, den er überdies bereits aus Jena bis in die unangenehmsten Details kannte.

    Ein Bedauern, auch im polemischen Sinne, über das Zurückbleiben hinter dem intellektuell Möglichen – hier eben dem theologisch Möglichen im Hinblick auf die Säkularisierungsfrage – irritiert an Hegel meines Erachtens gar nicht. Es spricht vielmehr aus jeder Zeile der GdPdR.

  2. Joachim Landkammer sagt:

    Die weitläufigen historischen und ideengeschichtlichen Hintergründe mögen ja sein, wie sie wollen, aber Hegel bedauert in dem von mir zitierten Text aus der WdL das Verschwinden der „Einsamen“, die vom Volk „geopfert“ und aus der „Welt ausgeschieden“ wurden; er beklagt m.a.W. das durch die Säkularisierung verschuldete Wegfallen der Möglichkeit mönchischen Lebens, das mit der „Kontemplation des Ewigen“ ja nicht so etwas völlig Anderes anstrebt als das, was sich Hegel unter „Philosophieren“ vorstellt (vgl. „Philosophie als Gottesdienst“ usw.). Der Verlust dieser Lebensform ist – wie bei Hegel immer – ein so theologischer wie politischer wie „kultureller“ Vorgang. Daß Hegel den Verlust dieser Orte der Kontemplation „bedauert“, war in der letzten Sitzung immerhin noch so „irritierend“, daß derjenige dafür ausgelacht worden ist, der das als Vermutung in den Raum gestellt hatte. Schön, daß es uns alle nun offenbar nicht mehr irritiert.

  3. Maren Lehmann sagt:

    Niemand bestreitet das; in der diskutierten Einleitung zur Rechtsphilosophie bedauert oder beklagt Hegel jedoch nichts, lässt vielmehr überhaupt keine Emphase erkennen, sondern bringt ein präzise gewähltes Beispiel.

    Im übrigen: Philosophie „ist Gottesdienst, ist Religion“, aber sie ist nicht (mehr) Theologie, und Theologie ist nicht (mehr) Philosophie. Statt dessen nur noch „Kirchenlehre“. Theologie als Philosophie wieder zu ermöglichen, ist Gegenstand von Hegels Religionsphilosophie. Durchsetzbar war das nie, und das muss man bedauern – darin gebe ich dir recht. Gelacht werden darf aber immer, auch über Bedauerliches.

    (zit. Einleitung zu den Vorlesungen über die Philosophie der Religion, 1827/1993)

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