Carl Schmitt I: Das Freund-Feind-Kriterium, die Ehre und die „Erde“

Zur Plausibilisierung der umstrittenden Reduktion „des Politischen“ auf die bekannte „Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als erschöpfende Definition oder
Inhaltsangabe“ (CS, BdP, 26), also auf die „Unterscheidung von Freund und Feind“ wurden zwei Texte herangezogen, die sich, so die Vermutung, zu dieser Unterscheidung sinnvoll in Beziehung setzen lassen.

Hannah Arendt rechtfertigt am Schluß ihres Berichts Eichmann in Jerusalem die für den Angeklagten verhängte Todesstrafe (Martin Buber hatte für die Begnadigung plädiert) mit folgenden Worten, mit denen sie Eichmann direkt adressiert: „So bleibt also nur übrig, daß Sie eine Politik gefördert und mitverwirklicht haben, in der sich der Wille kundtat, die Erde nicht mit dem jüdischen Volk und einer Reihe anderer Volksgruppen zu teilen, als ob Sie und Ihre Vorgesetzten das Recht gehabt hätten, zu entscheiden, wer die Erde bewohnen soll und wer nicht. Keinem Angehörigen des Menschengeschlechtes kann zugemutet werden, mit denen, die solches wollen und in die Tat umsetzen, die Erde zusammen zu bewohnen. Dies ist der Grund, der einzige Grund, daß Sie sterben müssen“ (H. Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1986, S. 404). Hier werden aufgrund der politischen Entscheidung, das jüdische und andere Völker zu zu vernichtenden Feinden zu erklären, alle Verantwortlichen dieser Entscheidung ebenfalls zu zu vernichtenden Feinden erklärt. Die auch anderswo formulierte Intention, daß „dieser Planet ein Ort bleibt, wo Menschen wohnen können“ (ebd. S. 278), impliziert den radikalen und definitiven „Ausschluß vom Planeten“ all derjenigen, die offenbar ihrerseits mit einer analogen, ähnlich tötungsbereiten Freund-Feind-Orientierung auftreten. Es wäre zu diskutieren (gewesen), inwieweit diese Denkfigur, die offenbar darauf reagiert, daß zumindest im Falle Eichmann keine gesetzlichen oder moralischen Kategorien zur „Straffindung“ zur Verfügung stehen, mit Carl Schmitts politischer Letztunterscheidung koinzidieren. Thomas Dürr schreibt etwa (in Hannah Arendts Begriff des Verzeihens, Freiburg/München 2009, S. 135) dazu: „Arendts Todesurteil gegen Eichmann [!] ist […] keine gesetzliche Kriminaistrafe, sondern eine Strafe aus Verlegenheit, weil sie auf etwas reagiert, für das Menschen und ihren Staatswesen eine angemessene Reaktionsweise fehlt“. Schmitt würde sagen: sie fehlt eben nur solange, wie wir von einem falschen, „halbherzigen“, liberalen „Begriff des Politischen“ ausgehen. Denn dieser reagiert auf die, hier von H. Arendt offenbar zugestandene Möglichkeit, daß es Menschen gibt, mit denen man schlicht „diese Erde“ nicht teilen kann; die schiere Existenz, das pure Weiterleben dieser Menschen macht für den betroffenen Antagonisten die „Erde“ „unbewohnbar“. C. Schmitt kennt zwar keinen „Feind der Menschheit“, aber man darf vermuten, daß auch H. Arendt hier nicht im Namen der Menschheit, sondern im Namen des das Todesurteil vollstreckenden, vom „Feind“ als „Feind“ ja schon lange klar benannten Volkes spricht. (Man darf auch vermuten, daß H. Arendt diese staatliche Tötungshandlung am Nazi-Verbrecher im deutlichen und positiven Gegensatz sieht zu jenen im gleichen Buch beschriebenen Aktionen der angeblichen „Mithilfe“ und „Mitverantwortung“ der „Judenräte“, und dem allzu willigen „Sich-zur-Schlachtbank-Führen-Lassen“ der jüdischen Bevölkerung im 3. Reich, eine Bewertung, die bekanntlich ebenfalls stark kritisiert worden ist).

Eine zweite, viel ältere Einlassung des philosophierenden Soziologen Georg Simmel schildert eine vergleichbare, ausweglose Konflikt-Situation, die nur noch die Gewalt als legitimen Ausweg zuläßt. In seiner Einleitung in die Moralwissenschaft. Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe von 1892/93 finden sich im 2. Kapitel des ersten Bandes („Egoismus und Altruismus“) Überlegungen zur „Ehre“, die es offenbar für sinnvoll und sogar unausweichlich halten, daß, da der Gesellschaft zu deren Absicherung – im Gegensatz zum „juristischen Kodex“ – keine anderen Mittel zur Verfügung stehen, „man zur Ausgleichung von Ehrenhändeln eine so unvollkommene Form wie das Duell gewählt hat“. Dessen „blinde Ungerechtigkeit“ wird ohne weiteres zugestanden, was aber an seiner „relativen Zweckmäßigkeit“ nichts rüttelt. Wichtig für Simmel ist nun, daß die „Konflikt-Form Duell“ (wie man dies nennen könnte) davon ausgehen muß, daß beide Konfliktparteien im Recht sein könnten und daß deswegen, von seiten eines „Beleidigten“ die Bereitschaft zum Duell (also zum Töten und Getötet-Werden) gefordert wird. „Indem die Gesellschaft von dem Beleidigten verlangt, dass er seinen Beleidiger fordert, gibt sie diesem zu, dass auch er möglicherweise im Recht ist und kann nur daraufhin den Boden gleichen Kampfes für beide vorschreiben“. Der Begriff der „Ehre“, verlangt – wie der Begriff des „Politischen“, das wäre die These – zur Verteidigung dessen, was mit ihm deskriptiv gemeint ist, nicht weniger als Tötungs-Bereitschaft. Simmel führt nun als „psychologische Schilderung“ einer solchen Konfliktsituation, was Schmitt als letztgültige Wesenslogik des Politischen im Auge hat:

Es ist übrigens ein sehr unvollkommener Ausdruck, dass man denjenigen, der Einem eine tödliche Kränkung zugefügt, strafen will, und zwar selbst mit Gefahr des eigenen Lebens. Gerade bei den schlimmsten und tiefsten gehenden Fällen handelt es sich psychologisch nicht um eine Strafe, sondern um das Gefühl, dass der Andere, nicht leben dürfe, und dass, so lange er lebt, der Wert der eigenen Existenz unter Null steht.“

Wie bei H. Arendt, ist „Strafe“ keine adäquate Beschreibung, sondern zu konstatieren ist ein existenziell fundierter Exklusions-Willen, der das Leben des Anderen „annullieren“ muß, um zu verhindern, daß der eigene Existenzwert annulliert wird. Daher mag man immerhin versuchen (meint Simmel zu den damaligen sozialpolitischen Diskussionen um die Abschaffung des Duells), die Angelegenheit so zu regeln, daß „die Anrufung des Strafrichters dem Gekränkten die hinreichende Genugtuung gewährt[…]“; aber da, wo nicht nur „die Oberfläche des Ichgefühls verletzt worden ist“, sondern „die gesamte Existenz des einen der Gegner durch die des andern in ihrem Kern und Werte bedroht ist – und zwar gegenseitig“, gibt es keine Alternative zum ehrrechtlich geregelten und verfügten Kampf auf Leben und Tod.Simmel versucht eine Form „gerichteter“ Emotionalität zu begründen, die den Anderen als Ganzen, unbeschadet seiner „einzelnen Betätigungen“ dem eigenen Vernichtungswillen anheim geben kann (so wie bei Schmitt der „Feind“ in bestimmten, nicht-politischen Kontexten, immer noch etwa Geschäftspartner sein kann). Diese radikale Abwehrhaltung nennt Simmel alteuropäisch „Haß“:

für den Hass [hat] die blosse Nichtexistenz des Andern absoluten Wert, hinreichend, um das eigene Leben dafür aufs Spiel zu setzen. Liegt nun eine solche Hassempfindung vor, die beiderseitig auf das Ganze der Persönlichkeit geht, wird durch die Existenz des Andern der psychologische Zustand geschaffen, der wie bei dem Vorstadium des Selbstmordes das Ganze der eigenen Existenz annulliert, so ist es ein ganz vergeblicher Versuch, durch ein soziales Eingreifen, das immer nur auf Einzelheiten des Handelns gerichtet sein kann, die Beruhigung dieses Gefühls erzielen zu wollen. Hier liegt etwas Absolutes vor, dem mit relativen Mitteln nicht beizukommen ist; und das Duell ist dann gewissermassen ein gütliches Übereinkommen zwischen beiden, dass einer von ihnen den Platz räume. Das sogenannte amerikanische Duell, gleichviel ob es überhaupt in Wirklichkeit vorkommt oder nicht, ist für einen solchen Fall der völlig zutreffende Ausgang.

Man wird einwenden, daß der amerikanische Mythos des Showdowns, mit dem in einer tendenziell anarchisch-gesetzlosen Welt „Recht“ und „Ordnung“ wiederhergestellt wird, kaum als exemplarischer, verallgemeinerbarer Zustand gefeiert werden kann; ebenso wie man einwenden wird, daß das aristokratische Konzept der Ehre von der bürgerlichen Idee der Einhegung und Monopolisierung von Gewalt aus guten Gründen abgelöst worden ist. Ebenso kann man sich ja vorstellen (und Schmitt erwähnt das als Denkmöglichkeit), daß die internationale Anarchie der Staatenwelt so weit eingeschränkt werden kann, daß auch die von Schmitt postulierten Freund-Feind-Konstellationen durch die (sanktionsbewährte) Verrechtlichung des internationalen Aktionsraums unmöglich gemacht werden. Solange das aber noch nicht so ist, solange daher die „anthropologische“ Ursituation eines Extrem-Antagonismus in einem ungeregelten Feld vorliegt, kann man Duelle wie Kriege zwar moralisch verurteilen, aber keine alternative Konfliktlösungsstrategie empfehlen.

Man muss aus sehr naheliegenden ethischen Gründen, die sich auf die anderweitigen Verhältnisse der Duellanten beziehen, es durchaus verurteilen, dass es zu derartigen Empfindungen und dann zu dieser Konsequenz derselben kommt; aber man soll nicht glauben, dass, wenn einmal ein absoluter Antagonismus zweier Personen gegeben ist, ein anderer Ausgang zu vollkommener logischer und psychologischer Lösung des Konflikts führen kann.

Die zu diskutierende Frage wäre: kann C. Schmitts Bestimmung des „Politischen“ als Versuch bestimmt werden, einen bei Simmel nur privaten, psychologischen, gleichwohl „existentiellen“ Sachverhalt auf die Ebene des kollektiven Handelns einer (in bestimmten Fällen analog) existentiell bedrohten Gemeinschaft zu heben? Welche Plausibilität würde der vorausgesetzten, unterstellten (ja vielleicht: tendenziös und propagandistisch suggerierten) Bedrohungs-Empfindung zukommen? Können wir uns zwar glücklich schätzen, daß wir, in inzwischen lange eingespielter liberaler Sekurität, diese Empfindung nicht mehr kennen, aber müssen wir sie nicht dennoch zumindest als einen Beitrag zur Geschichte des politischen „Geists“ in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts lesen?

 

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

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