Wie gut darf/muß ein Liebesgedicht sein? Oder: In Defense of Orlando Nachtrag zur Diskussion im Shakespeare-Seminar

In Shakespeares „Wie es euch gefällt“ (3. Akt, 2. Szene) schreibt Orlando Liebes-Gedichte und hängt sie an Bäumen im Wald von Arden auf. Sie werden gefunden und (dem Publikum) vorgelesen, vom Narr Touchstone für gut parodierbar und daher schlecht befunden und auch von der im Gedicht Angeredeten offenbar nicht wirklich einer Verteidigung für würdig gehalten; Rosalind wehrt nur den Narr ab („Out, fool“!), der sich über sie lustig macht.

Aber verteidigen und aus ihrer puren (wiewohl natürlich komödiantisch erforderlichen) Lächerlichkeit erlösen lassen sie sich vielleicht doch. Orlando dichtet vierhebige Trochäen (immerhin das Versmaß von „Freude, schöner Götterfunken“!) mit männlichem Endreim, denn jedes Verspaar endet mit dem dreisilbigen Namen der Geliebten, dem dadurch eine deutlich exponierte Stellung zukommt. Ja, eigentlich dient das „Gedicht“ nichts anderem als der Deklamation, der Rezitation, der Aussprache des geliebten Namens: jeder „Sinn“, von dem das Gedicht in der Tat nicht allzuviel aufweist (wenn man herkömmliche, also hier unangebrachte Kommunikationsmaßstäbe anlegt), ordnet sich diesem Namen unter, so wie jede sonstige konventionelle englische Ausspracheregel sich ihm unterordnen muß. Jede Zeile dient Orlando nur dazu, sich einen Reim auf „Rosalind“ zu machen, ist nur ein Vorwand, diesen Namen zu schreiben, ihn sich selbst dabei vorzulesen und sich vorzustellen, daß andere ihn lesen (und sei es Diana, die Göttin der Jagd und des Monds, die zu Beginn der Szene von ihm angerufen wird). Genau das will er ja auch tun: ihren Namen überallhin schreiben. (vgl. zur verliebten Traktierung von Bäumen übrigens auch Wilhelm Müllers „Ungeduld„).

Die nicht auszudrückende (the „unexpressive she“ III.1) kann nur durch ihren Namen an- und ausgesprochen werden – wie auch sonst? Im Seminar wurde „bemängelt“, daß Orlando nichts von Rosalind weiß und sie daher nur unbeholfen, einfallslos, monoton anhimmeln kann: aber ist das nicht die Situation des wahrhaft/wahnhaft Liebenden? Muß er Gründe, Hintergründe und biographische Details kennen? Muß er abwechslungsreiche Konversation betreiben können? Natürlich kann ein Liebender, der kein Geck und kein Simulator eines Gefühls ist, nur („schlechte“) Verse stammeln. Genau das ist ja auch der „tiefere Sinn“ von Gedichten, also von rhythmisiertem und gereimtem Sprechen: der Dimension des reinen Wortklangs eine autonome (sinn- und syntaxunabhängige) Präsenz zu verschaffen. Der materiale Klang, der reine „Sound“ von Sprache kommt so endlich zu seiner Geltung, und welcher Sound könnte klingender, verführerischer, attraktiver, wichtiger sein, als der durch die Aussprache des Namens der/des Geliebten verursachte?

Rosalind wird nicht leugnen können, daß ihr das gefällt, daß sie den Ton und Klang ihres Namens genießt. Genau deswegen stellt sie ihn ja auch auf die Probe: ihr „Test“, den sie Orlando unterwirft, läuft auf die Frage hinaus, ob jemand, der so gern „Rosalind“ sagt, wie er es in seinen Gedichten tut, auch noch „Rosalind“  zu jemand sagen kann/will, der (in seinen Augen) gar nicht Rosalind ist, sondern Männerkleider anhat und „nur so tut“. Und natürlich besteht ein wirklich Liebender einen solchen Test, Orlando würde ja „Rosalind“ zu jedem „Holzklotz“ sagen (vgl. dazu auch hier)! Genau das ist ja der „Beweis“ von Liebe: man sieht auch in einem fremden Mann nur „die Eine“, man läßt sich von Männergewand und von dem störrischem Gerede und Gezicke, das Rosalind liefert, genauso wenig ablenken von dem einen, reinen, einzigen und unaussprechlich schönen Namen wie durch die kleinlichen Gepflogenheiten der englischen Alltagsrede, die man dichterisch „bewältigt“. Liebe ist stärker als Syntax, Geschmack, Bildung, Ästhetik usw. DAS sollen uns die „schlechten“  Gedichte von Orlando sagen.

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

4 Antworten zu Wie gut darf/muß ein Liebesgedicht sein? Oder: In Defense of Orlando Nachtrag zur Diskussion im Shakespeare-Seminar

  1. soziologie4zu sagt:

    »Schubert wurde aber nicht durch eine Müllerin oder durch eine Mühle zu seinem Zyklus angeregt, sondern durch Müllers Gedichte.« (O. E. Deutsch zit. Bostridge)

  2. »Schubert wurde aber nicht durch eine Müllerin oder eine Mühle zu diesem Zyklus angeregt, sondern durch Müllers Gedichte.« (O. E. Deutsch zit. bei Bostridge, Winterreise)

  3. Nina Meier sagt:

    Den kritischen Punkt sehe ich in der Frage, ob das monotone Wiederholen des Namens der Angebeteten ohne jegliche Hintergründe ein ‚Beweis‘ für die Wahrhaftigkeit des Liebenden ist (für das Wahnhafte in der Liebe sieht dies zugegeben wiederum anders aus). Zweifelhaft bleibt nämlich, ob man ohne Gründe und Hintergründe überhaupt lieben kann, ob Orlando wirklich nur in Rosalinds Namen seine Liebe zu ihr spiegelt. Dabei müssen diese Hintergründe auch überhaupt nicht der Wahrheit entsprechen, für das ‚Sich-Verlieben‘ zählt lediglich, dass man etwas hat, in das man sich verlieben kann. Ein assoziationsfreier Name, der ohne Rückbezug zu einer vorgestellten Persönlichkeiten nur um seines Klangeswillen geliebt wird, ist dies nicht. Auch nicht in dem behandelten Fall. So machen sowohl Orlando, als auch Rosalind vielerorts deutlich, dass Orlando sich sehr wohl eine Vorstellung von Rosalind gemacht hat, welche über ihren Namen hinaus geht und die er anhimmelt. In Aussagen wie ‚Das würde mein Rosalind nie tun‘, wird zum Beispiel deutlich, dass er der Angebeteten in seinem Kopf bestimmte Eigenschaften und ein daraus resultierenden Verhalten zuspricht. Obwohl es sich bei diesen Eigenschaften um Zuschreibungen handelt (die wohl auch nicht der Wahrheit entsprechen dürften, wie der Zuschauer aus Rosalinds Spiel erahnen kann) sind diese doch für Orlando real. Er kennt Hintergründe seiner Liebe, gerade deswegen, weil er sie selbst entwirft. Das Bild, welches er von Rosalind zeichnet, ist es in welches er sich verliebt, nicht der reine Klang ihres Namens. Daher bleibt mir unzugänglich, warum die akustische Litanei ihres Namens die Situation des wahrhaft Liebenden beschreiben sollte, liebt dieser doch mehr als nur einen Namen.

  4. Zunächst würde ich dagegen halten, daß Orlandos Gedichte natürlich nicht nur „den Namen monoton“ wiederholen, sondern sie fügen diesen Namen in gewisse Weltbeschreibungen und Aussagen ein, und zwar so, daß der Name und die Aussagen miteinander „resonieren“, zueinander „passen“, miteinander „harmonieren“, sich eben „aufeinander reimen“. Dieses Erfordernis der Reimpassung mag für mithörende Dritte keinen rechten „Sinn“ im herkömmlichen Sinn konventionell-sinnvoller Aussagen und Weltbeschreibungen produzieren: aber für diese Dritten ist diese Form der klangbasierten Liebes-Kommunikation ja auch nicht gedacht (wie ja überhaupt Liebes-Kommunikationen für Außenstehende immer irgendwie „komisch“ sind, das ist die Grundkonstellation jeder Komödie: es hören immer Leute bei etwas zu, was für sie „nicht gedacht“ ist). Die Namens-Reimversuche sind Selbstauskünfte (und Selbstvergewisserungen) eines auf ein anderes Individuum so fixierten Subjekts, daß dessen Welt nur noch im „Licht“, bzw. im „Klang“ des einen Namens erfahrbar und benennbar ist. Das Gedicht ist die „rosarote Brille“, durch die der Verliebte die Welt sieht: alles ist rosarot, weil alles sich auf „Rosalind“ reimt.
    Daß Orlando sehr viel mehr weiß und wissen muß als diesen Namen, würde ich nach wie vor bestreiten, schon deswegen, weil Liebe eben nicht davon abhängig ist, Gründe (noch weniger: gute Gründe) zu haben. Bei Richard Rorty steht irgendwo sinngemäß: wer Gründe angeben kann dafür, warum er jemanden liebt, liebt nicht. Gründe hat man für eine Geschäftsbeziehung, für die meisten Freund- und Bekanntschaften, selbst für familiäre Beziehungen – aber nicht für Liebes-„Beziehungen“ (wo ja schon diese Bezeichnung stört). Daß Orlando es ablehnt, eine seiner Rosalind unterstellte Haltung für möglich, ja auch nur für denkbar zu halten, heißt noch lange nicht, daß er irgendetwas über sie „weiß“ (im Gegenteil: gerade sein Nichtwissen erlaubt ihm die brüske Zurückweisung jeder bestimmten Unterstellung). Richtig ist, daß er sich „Vorstellungen macht“, wie Sie schreiben. Aber das ist eben kein Wissen, es ist auch kein definiertes und konturiertes „Bild“: es ist eben eher ein „Klangbild“, ein Sehnen, Hoffen, Wünschen, Phantasierens, das nur eine einzige „materiale“ Basis kennt: den „Sound“ des geliebten (!) Namens. Daß diese Klangmaterie Widerhall findet in der Welt, daß die Welt dem Namen ein Echo zurückgibt (und ein Reim ist ja nichts anderes als ein Echo), ist meist die einzige „Bestätigung“ seiner Liebe, die ein Liebender hat – und die er daher verzweifelt-„monoton“ sucht.
    Vgl. übrigens dazu, ganz analog, wenn in „Twelfth Night“, I.5, Viola zu Olivia sagt, was sie tun würde, wenn sie/er sie lieben würde: „[I would] Write loyal cantons of contemned love / And sing them loud even in the dead of night. / Halloo your name to the reverberate hills / And make the babbling gossip of the air / Cry out ‚Olivia!‘“. Und Brasch übersetzt (sehr schön) „contemned love“ mit „echoloser Liebe“, aber (sehr unschön) „sing loud“ mit „grölen“.

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