Die Zeitung von gestern (10)

Internationale Eliten? Wo denn bitte? (2.8.2017)

Thomas Thiel rezensiert in seinem FAZ-Feuilleton-Aufmacher vom 1.8.2017 das bereits im September 2016 erschienene Buch von Michael Hartmann Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende. Der Soziologe und Elitenforscher, der bis 2014 an der TU Darmstadt unterrichtet und bspw. schon 2002 den Mythos von den Leistungseliten aufs Korn genommen hatte, stellt vor allem die vermeintliche internationale Herkunft, Erfahrung und Haltung heutiger Wirtschaftsbosse in Frage. Das Bild eines postmodern-nomadisch kreuz und quer und hin und her über den gesamten Globus operierenden Wirtschaftsführertums wird, so zeigt Hartmann, durch nüchterne Zahlen und Statistiken als Chimäre entlarvt. „Die meisten Unternehmensführer“, schreibt Thiel, „durchliefen Hauskarrieren, und wenn sie längere Zeit im Ausland verbrachten, war das nur in den wenigsten Fällen mit einem Wechsel des Unternehmens verbunden“. Und nur 23 von 1000 der „mächtigsten CEOs“ haben im Ausland studiert. „Wenn es deutsche Vorstandsmitglieder zum Studium in die Ferne zog“ (nur 3,5 %), „dann kamen sie kaum über die Schweiz hinaus“. Dementsprechend bieder, hausbacken-heimisch und national orientiert seien die „Unternehmensführer“ generell, eine „kosmopolitische Mentalität in diesen Kreisen“ sei kaum zu vermuten.

Das klingt so verlockend wahr und richtig, daß man es sich nur mit Mühe verkneifen kann, es mit eigenen Eindrücken, auch wenn sie nur auf wenigen und sporadischen eigenen Kontakten mit der sog. „Wirtschaftselite“ vor Ort beruhen, umfassend zu bestätigen. Wie bei allen Entmythisierungs-Offenbarungen sollte man sich wahrscheinlich vor der Hurra-Zustimmung in Acht nehmen, die sofort „Endlich sagt es mal einer!“ ausruft. Denn das würde ja auf unverzeihliche Weise dem allzu nahekommen, was es ja, auf wissenschaftliche Fakten und Zahlen gestützt, genau zu vermeiden gilt: dem Populismus.

Um so unverständlicher ist es, wenn Thiel gerade meint, die Erkenntnisse von Hartmann seien „natürlich Wasser auf die Mühlen der populistischen Proteste gegen einen kosmopolitischen Liberalismus“ und einen Artikel des Schweizer Historikers Caspar Hirschi in der NZZ vom 19.6. zitiert, in dem dieser behauptet hatte, der europäische Populismus habe einen Realgrund in der tatsächlich anzuprangernden Existenz einer „kulturell offenen“ globalen Elite, die überall auf der Welt (so etwa auch in „halbparlamentarischen Diktaturen wie Singapur“) leben könne, weil für sie sowieso nur „Komfort und Konsum, Stabilität und Steuerprivilegien“ zähle. Die von Hirschi geschilderten Zustände gäben, schreibt wiederum Thiel, „dem Protest gegen das Establishment ein nicht zu entkräftendes Argument an die Hand“.

Bitte? Thiel selbst hat doch gerade ein Buch gelesen und eben vorgestellt, das genau das tut: es „entkräftet“ dieses „Argument“. Die von den Populisten imaginierte internationalisierte Elite gibt es gar nicht, sondern ist – hier ziemlich präzise gut erprobten antisemitischen Propaganda-Strategien folgend („Weltjudentum“) – ein künstlich aufgebauschter Popanz, den man mächtig macht, nur um auf ihn um so heftiger einschlagen zu können. Hartmann, weiß Thiel selbst im nächsten Satz plötzlich wieder, sei dafür, „daß man einer Klasse, die es nicht gibt, keinen vorauseilenden Gehorsam leisten sollte“. Und man darf hinzufügen: man könnte es dann ja vielleicht auch unterlassen, von einer nicht existierenden „Klasse“ zu sprechen und denen, die das tun, deutlich machen, daß sie gegen nichts „protestieren“, sondern schlicht Unsinn reden.

Und das erledigt keinesfalls die nach wie vor notwendige und legitime Kritik an den „Unternehmereliten“: es erschwert sie nur, weil sie sich nicht mit Pauschalisierungen, Personalisierungen und vorschnellen Verortungen (und auch eine „im Ortlosen“ ist eine) zufriedengeben kann. Auch wenn – und gerade wenn – man statt mit jetsettenden, vielsprachigen, multikulturell-kosmopolitischen Tausendsassas mit bodenständigen, einheimischen, unternehmenstreuen, kulturell konservativen, braven deutschen Durchschnittsunternehmern ohne Auslandserfahrung zu rechnen hat, die sich leicht unter den realitätsfernen Anti-„Establishment“-Parolen von AfD & Co. wegducken können, handelt es sich ja um eines nicht: um harmlose Eliten. Die hämische Frage, die man laut Thiel dem „nächsten Unternehmensführer“ stellen soll, „der den unaufhaltsamen Aufstieg des globalen Nomadentums beschwört“, nämlich die nach seinem Wohnort, ist dann selbst viel zu harmlos.

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

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