Herbst 19: Blumenberg-Lektüren

Blumenberg III: Nachahmung der Natur

Im Blumenberg-Film von Christoph Rüter ist zweimal die offenbar aus einer Vorlesung stammende Audio-Einspielung zu hören, in der Blumenberg (sinngemäß) behauptet, daß, wer nicht verstanden habe, daß die Frage „warum überhaupt das Sein sei und nicht vielmehr nichts“ die zentrale Frage der Philosophie sei, nichts von Philosophie verstanden habe. In dem Aufsatz über die Idee der „Nachahmung der Natur“ (und über den Verfall dieser Idee) wird der „Natur“-Begriff meist als gleichbedeutend („kongruent“) mit dem Sein als Ganzen verstanden, so daß sich die Vorbildhaftigkeit und Vollkommenheit aller Naturphänomene (die Landschafts- und Naturmaler inspirieren konnte) auch theo- und ontologisch auf die Positivität und „Güte“ des Seins insgesamt ausdehnen läßt: die gesamte Schöpfung „lobt“ ihren Schöpfer und dankt ihm für ihr perfektes, optimales Sein-(Dürfen). Unter den „unendlichen Möglichkeiten“, die nun in er Neuzeit über das Sein hinaus gedacht und „geschaffen“ werden können, ist nun eben auch die radikale nihilistische Alternative, die nicht nur für möglich hält, daß auch NICHTS hätte „sein“ können (wenn man das so sagen kann), sondern auch, daß das besser gewesen wäre. Dann wird „Natur“ nicht nur „häßlich“, wie bei Franz Marc, den Blumenberg zitiert, sondern das „Ganze“ (Natur/Sein) wird abstoßend, anstößig, belästigend, „eklig“. In der Tat wird diese Position in Sartres La Nausée von 1974 so artikuliert und mit „Natur“-Beispielen exemplifiziert. Der Protagonist fühlt sich von einer „von überall her in mich eindringenden Existenz“ erstickt („Mais je ne peux pas, je suffoque: l’existence me pénètre de partout“ Gallimard, Paris 1974, S. 178); das „Sein“ ist keine harmlose abstrakte Kategorie mehr, sondern „c’était la pâte même des choses, cette racine était pétrie dans de l’existence. Ou plutôt la racine, les grilles du jardin, le banc, le gazon rare de la pelouse, tout ça s’était évanoui ; la diversité des choses, leur individualité n’était qu’une apparence, un vernis. Ce vernis avait fondu, il restait des niasses monstrueuses et molles, en désordre“, ebd. 179f.). („Sie [die Existenz] war der eigentliche Teig der Dinge, diese Wurzel war in Existenz eingeknetet. Oder vielmehr, die Wurzel, das Gitter des Parks, die Bank, das spärliche Gras des Rasens, das alles war entschwunden; die Vielfalt der Dinge, ihre Individualität waren nur Schein, Firnis. Dieser Firnis war geschmolzen, zurück blieben monströse und wabbelige Massen, ungeordnet“). Die Alternative zur Nichtexistenz ist eine abstoßende Überfülle: „Si l’on existait, il fallait exister jusque-là, jusqu’à la moisissure, à la boursouflure, à l’obscénité.“ (180) („Wenn man existierte, musste man bis dahin existieren, bis zum Verschimmeln, zur Aufgedunsenheit, zur Obszönität.“). Die Welt ist keine Realisation offener unendlicher Möglichkeiten, sondern das Ende alles Möglichen ist erreicht – weil bereits überschritten: es ist alles „zu viel“: „nous n’avions pas la moindre raison d’être là,
ni les uns ni les autres, chaque existant, confus, vaguement inquiet, se sentait de trop par rapport aux autres. De trop: c’était le seul rapport que je pusse établir entre ces arbres,
ces grilles, ces cailloux“ (181) („wir hatten nicht den geringsten Grund, dazusein, weder die einen noch die anderen, jeder Existierende, verwirrt, irgendwie unruhig, fühlte sich in bezug auf die anderen zuviel. Zuviel: das war der einzige Bezug, den ich zwischen diesen Bäumen, diesen Gittern, diesen Kieseln herstellen konnte.“).
Das erst scheint mir die radikale Gegenposition zur antiken „Seins-Euphorie“ zu sein, von der sich die Nachahmungs-Idee ableitet.

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

2 Antworten zu Blumenberg III: Nachahmung der Natur

  1. Anna Staab sagt:

    … und das widerum liest sich wie eine grundlegende Kränkung des Subjekts, setzt dann also auch die Subjekt-in-Welt-Frage bei Blumenberg fort: Erst hat es nichts wesentliches beizutragen; dann doch, aber nur blasphemisch (und mit den entsprechenden Risiken verbunden); dann anders, als Genie; und dann wieder nicht nur nicht mehr, sondern sogar, ohne als Einzelnes, ernsthaft benennbares, in der Welt vorzukommen (daher der „Teig“, diese ganzen Bilder von unklaren Grenzlinien/Auflösung/Verschmelzung). Das Subjekt „ist“ nicht nur einfach in der Welt, es ist auch nicht in der Welt gewollt, es ist noch weniger privilegierter Schöpfer in dieser Welt – es ist einfach nur Teil einer wabernden Masse, die auch anders oder gar nicht zusammengesetzt hätte sein können; und dass sie weder anders oder nicht ist, ist grundlos, weder von irgendwem oder -was so gewollt noch für irgendwen oder -was besser so. Daraus dann aber ein Urteil abzuleiten, lässt sich ja als Versuch einer Selbstermächtigung lesen; als Versuch, mit dem „schlecht“, „hässlich“, „zu viel“ doch wieder Deutungshoheit und damit Handlungsspielraum zurückzugewinnen.

    • Ich bin nicht sicher. „Deutungshoheit“ hätte ja nur Sinn, wenn Roquentin im Versuch, sich irgendeinen Reim auf seine Situation (seinen „Ekel“) zu machen, in Deutungskonkurrenz zu anderen möglichen Interpretationen stünde. Ist der Versuch, das überhaupt irgendwie in Worte zu fassen, schon „Deutungshoheit“? Und „Handlungsspielraum“? Wenn doch sogar die Suizid-Option als ebenfalls sinnlos und gleich-gültig nicht in Betracht kommt. Vielleicht ist es dann eben auch wichtig (vor dem Hintergrund des anderen Aufsatzes), daß Sartre das eben als „Roman“ und im Rahmen einer Roman-„Handlung“ sagen läßt. Der besondere „Realismus“ des Romans suspendiert die Frage des real existierenden Lesers/der Leserin, wie und warum dann nun trotz all dieser ausweglosen „Reflexionen“ dann trotzdem noch „weitergelebt“ werden soll/muß.

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