„Völkerverständigung“ im Geiste Maos – Die Bamberger Symphoniker fallen in China auf die Knie

Was ist der Sinn der sog. „klassischen“ Hochkultur, sofern sie nicht zum unreflektiert weitergeschleppten Traditionsgut konservativer Modernitätsverweigerer oder zum teuren Renommierobjekt einer privilegierten Schicht und ihrer eitlen Distinktionsbedürfnisse verkommen ist? Doch wohl einzig der, den allerhöchsten Perfektions- und Qualitätsanspruch all dessen, was zum Kanon des Klassischen und zu dessen strengen Produktions- und Rezeptionsvoraussetzungen gehört, auch mit einem strengen Vorbehalt gegen alles halbseidene, unechte, dilettantisch-kompromißlerische Außer- und Nichtkünstlerische zu verbinden. Von einem auf ranghöchstem Weltniveau spielenden sog. „A-Orchester“, das aus nach allerstrengsten Kriterien ausgewählten und bestausgebildeten ProfimusikerInnen besteht und das als international ausstrahlendes Leuchtturm-Projekt der fränkisch-bayrisch-deutschen Kulturlandschaft gehandelt wird, wird man also nicht erwarten können, daß es nun plötzlich ausgerechnet bei der Auswahl seines Repertoires leichtfertige Zugeständnisse macht und – zum Beispiel – irgendwelche stümperhaften Machwerke dahergelaufener Gelegenheitskomponisten spielt. Nein, nur der hungrige Straßenmusiker, dem man dafür etwas in seinen Hut wirft, spielt dann auch willfährigst zum 100. Mal das „Lied der Caprifischer“ oder „Ciao Bella Ciao“, wenn – zum Beispiel – gerade gut betuchte heimatssehnsüchtige Italiener vorbeikommen. Der fest installierte Profimusiker hingegen verweigert sich solchen Schnulzenwünschen, und zwar nicht etwa nur, weil er es schlicht „nicht nötig“ hat, sondern weil ihn seine hart erarbeitete höhere musikalische Kompetenz auch mit einer hochsensiblen  Widerstandsfähigkeit und einer intransigenten Ablehnungshaltung gegenüber allem Simplen, Gemeinen, Opportunen, Alltäglichen und anbiedernd „Populären“ ausgestattet hat. Sollte man meinen.

Die Bamberger Symphoniker haben auf ihrer aktuellen China-Tournee das Gegenteil bewiesen. Wie der mitreisende („embedded“) Journalist von BR-Klassik, Thorsten Preuß, enthusiasmiert am 26.10.2019 berichtet (vgl. hier), habe man in Changsha, einer „aufstrebenden Sieben-Millionen-Stadt“, im dortigen neuen Konzertsaal, einem „futuristischen Gebäudekomplex mit Bücherei und Museum, drinnen Platz für 1.400 Zuhörer, ein bisschen nach dem Vorbild der Berliner Philharmonie“ ein umjubeltes Konzert mit Beethoven, Dvořák und Bruch gegeben. Ein ganz normales Standard-Konzertprogramm also, würde man sagen. Es gibt allerdings Grund zur Vermutung, daß ein Künstler seine eigentliche Visitenkarte erst mit der Zugabe abgibt: erst die Kür zeigt, nach dem mehr oder weniger erwartbaren Pflichtprogramm, wes Geistes Kind jemand wirklich ist, welche künstlerisch-ästhetische „Persönlichkeit“ man darüber hinaus darstellen will (etwa: virtuos-glänzend  oder eher intim-kontemplativ, usw.). Mit der Zugabe in Changsha ist es den Bambergern gelungen, sich mit einem Schlage (nicht nur) künstlerisch zu disqualifizieren: die Veranstalter des Konzerthauses, neben dem in wenigen Kilometern Entfernung eine 30 Meter hohe Granit-Büste von Mao steht, haben sich nämlich als Zugabe „nachdrücklich“ ein „beliebtes Preislied auf ihn“ „gewünscht“, schreibt Preuß; „und die Bamberger sind nach einigen Diskussionen darauf eingegangen“.

Was immer in diesen vorherigen internen Diskussionen, über die man leider nichts weiter erfährt, gesagt worden ist: die leicht nachzuprüfende Tatsache, daß heute Historiker davon ausgehen, daß ca. 45 Millionen Tote als direkte Opfer von Maos radikaler Transformations-Politik zu betrachten sind, ist offenbar nicht Gegenstand dieser Diskussionen gewesen – weil es dann jeder/m mit einer Mindestmoralaustattung versehenen MusikerIn unmöglich gewesen wäre, auch nur einen Finger für die Aufführung eines solches Machwerks zu rühren. Preuß‘ Bericht, dem man zwischen den Zeilen das schlechte Gewissen immerhin anmerkt, liefert nachträgliche Pseudo-Legitimationen: es habe sich um „musikalische Diplomatie“ gehandelt: „immer ein Drahtseilakt“. Und der Intendant Marcus Axt läßt sich zitieren mit dem vollmundigen Satz im Komintern-Sprech unseligster Erinnerung: „Wir spielen dieses Stück als Geste des Respekts, der Freundschaft und der Völkerverständigung“.

Viel aussagekräftiger als diese nachgeschobenen Beschönigungen eines beschämenden Gesichtsverlusts ist für die realen Zusammenhänge das erwähnte kleine Wort „nachdrücklich“ bei „Wunsch“: sich etwas „nachdrücklich wünschen“ können nur Mächtige, und wer einem solchen „nachdrücklichen Wunsch“ nachgibt, erweist sich als der diese Macht anerkennende Schwächere. Es ist dann egal, ob die „Nachdrücklichkeit“ dieses Wunsches sich durch verführerisch potente Finanzkraft oder schlicht durch die auch in (Hoch-)Kulturbelangen noch immer mit eiserner Hand regierende Macht einer Parteidiktatur und ihrer Führer-Idolatrie Ausdruck verschafft.

Die Hofberichterstattung von BR-Klassik auf der hauseigenen Homepage schwärmt von gewonnenem „Respekt“ und gewonnenen „Herzen“ – als ob das Jubeln bei Mao-Hymnen nicht eine der vielen vom Überwachungsstaat geforderten Formen öffentlicher Unterwürfigkeitsdemonstration sei. Die Frage muß daher gestellt werden: hätte es nicht in China einem Orchester, das aus einem Land kommt, in dem man noch wissen könnte, daß einst ein gewisser Herbert von Karajan (sicher auch auf „nachdrücklichen Wunsch“!) seine Beethoven-Symphoniekonzerte mit dem Horst-Wessel-Lied ausklingen ließ, gut angestanden, von der hohen Warte ihrer Hochkultur und ihrer geschichtlichen Erfahrung aus hier einfach „Nein“ zu sagen? Wäre es nicht viel eher eine „Geste des Respekts“, nämlich eine gegenüber den vielen bedrängten, bespitzelten, gedemütigten und eingesperrten Dissidenten im Land gewesen, zu zeigen, daß man der allgegenwärtigen, sich überall einmischenden Partei-Macht in einem gleichgeschalteten Land auch einmal, wenigstens einmal, mit mutigem Widerstand begegnen kann? Ist dieser populärmusikalische Kotau vor den alt-neuen Machthabern in China nicht eine Bankrotterklärung der Autonomie der Kunst – und eine Schande für die „Kulturbotschafter“, als die „die Bamberger“ hier offiziell unterwegs sind?

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

2 Antworten zu „Völkerverständigung“ im Geiste Maos – Die Bamberger Symphoniker fallen in China auf die Knie

  1. Maren Lehmann sagt:

    Ich war siebzehn, als Petra Kelly den Mut hatte, der DDR-Nomenklatura den Anblick des „Schwerter zu Pflugscharen“-Shirts nicht zu ersparen – ein Mut, der Mitschüler*innen und Freund*innen um Abitur oder Studienplatz gebracht hätte. Wir waren glücklich. Wir waren glücklich, ich war glücklich, weil sich da eine ihre Freiheit nicht wegkomplimentieren ließ, bloß um das Linsengericht einer pressewirksamen Einladung willen. Ich war glücklich, weil da eine nicht behauptete, die Höflichkeit eines Gastes bestehe darin, nicht mehr wagen zu wollen, als die Gastgeber ertragen könnten. Ich war glücklich, weil da eine deutlich machte, daß sie nicht die Pförtner für die Gastgeber zu halten bereit war. Niemand von uns hatte mit ihr sprechen dürfen, aber sie hatte uns besucht.

    Sechsundreißig Jahre später ruft mich der Intendant der Bamberger Symphoniker in meinem Universitätsbüro an, um mir – sagen wir: mitzuteilen, er könne sich nicht vorstellen, daß der oben stehende Beitrag – der seinem Orchester schwer schaden könne – im Einklang mit der Auffassung des Lehrstuhls stünde.

    Dazu kann ich sagen: ein Kommentar von meiner Hand wäre erheblich deutlicher, schärfer also, ausgefallen. Die Einwohner von Changsha haben eine Heimatstadt, die auch der Schulort Maos gewesen und von ihm zum Gegenstand seiner Gedichte gemacht worden war. Sie befinden sich damit in der Geiselhaft einer Kulturpolitik, die diese Gedichte (und ihre Vertonungen) für das Höchste heimatlicher Gefühle zu halten gebietet. Die Bamberger Symphoniker befinden sich nicht in dieser Geiselhaft, und ihr Konzertpublikum weiß das. Es erwartet, einem freien Orchester zuzuhören. Spielt dieses Orchester „ein beliebtes Preislied auf Mao“, weil sich dies „die chinesischen Veranstalter nachdrücklich als Zugabe gewünscht“ haben (wie es im oben zitierten BR-Bericht heißt), dann versteht das Publikum sofort: das Orchester hatte nicht sie, sondern die Pförtner besucht. Also zeigt es die von den Pförtnern erwartete Begeisterung. Die Begeisterung, die das Orchester zu sehen meinte, war nichts als die gewöhnliche Fassade eines autoritären Regimes.

    Die Bamberger Symphoniker haben sich nichts vorzuwerfen; sie waren nur zu bequem, die Freiheit zu nutzen, die sie im Unterschied zum chinesischen Publikum haben, und sie sind jetzt zu eitel, sich diese Bequemlichkeit einzugestehen.

  2. Pingback:Rote Sonne, schöne Bilder. - VAN Magazin

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