Nochmal zur Bamberger „Geste der Völkerverständigung“ in China

Hartmut Welscher hat unter dem Titel „Rote Sonne, schöne Bilder. Deutsche Orchester auf Asientournee“ den hier im Blog geschilderten und mehrfach kommentierten Vorgang in seinem Online-Magazin VAN aufgegriffen, allerdings nur als Texteinstieg und Aufhänger. So richtig das von seiner Überschrift ja bereits angedeutete Anliegen sein mag, sich auch einmal über die ökologische („nachhaltige“) Sinnhaftigkeit von Orchester-Fernreisen Gedanken zu machen, so sehr verkürzt und relativiert es das musikpolitische Grundsatz-Problem, um das es mir (und: eigentlich) geht – vor allem dann, wenn Welscher sich in seinem Text ganz unnötigerweise den Verharmlosungs-Diskurs des Bamberger Intendanten Marcus Axt zu eigen macht und behauptet, die mit „nachdrücklichem Wunsch“ geforderte Zugabe sei gar keine Mao-Hymne, weil sie ja auch nur instrumental gespielt wurde (!), sondern sie sei ja, weil die „Grenzen zwischen Volksgut und Mao-Kult […] in China fließend“ seien, einfach nur ein beliebtes Volkslied. Außerdem hält Welscher das musikalische Machwerk offenbar schon dadurch für nobilitiert, daß „das Philadelphia Orchestra […] es gerade erst bei einem Konzert in der New Yorker Carnegie Hall, zu Ehren des chinesischen Generalkonsuls, der im Publikum saß“ gespielt habe. Auch laut der vom Intendanten zur Absicherung eingeholten Auskunft der deutschen Generalkonsulin in Shanghai werde „das Stück nicht mehr politisch verstanden“. Daher sei das Ganze, so beschwichtigt Welscher die VAN-LeserInnen, wohl eher „eine schöne Pointe als ein wirklicher Skandal“. Eine „Pointe“? Aber zu welchem Witz denn bloß? Ich fürchte, auch die folgenden, dringend gebotenen Richtigstellungen werden leider nicht dazu führen, daraus eine witzige Geschichte mit lustiger „Pointe“ zu machen…

1) Zur Entscheidung der Frage, ob das in Rede stehende Stück (über dessen musikalische Qualität man nach Anhören dieses Videos selbst urteilen mag) heute den Status eines Volks- oder den eines politischen Lieds hat (und ob man diese Frage überhaupt entscheiden kann), gibt es schon einige Indizien. So hat dieses Lied ja zumindest einen eindeutig politischen Ursprung: „This song, written in folk song style, was composed by Bi-Guang Tang (born 1920) during the 1950’s, in order to praise Chairman Mao after the establishment of the People’s Republic of China in 1949“. So steht es zumindest in einer 2012 an der Arizona State University vorgelegten Forschungsarbeit für die Erlangung des Titels „Doctor of Musical Arts“ von Yali Luo (vgl. hier). Die Volksmusik-Machart dieses Mao-Preislieds war also von vornherein ein Fake, ein ideologischer Propaganda-Trick, wie man ihn aus anderen Diktaturen zur Genüge kennt: in den deutschen Liederbüchern erschienen nach 1933 als Volklieder dann „im Volkston neu komponierte Kampflieder der Hitlerjugend (HJ) wie Was ist der Tod, wo unsere Fahne weht? oder Wir Hüter der heiligen Flamme, Martialisches wie Bomben auf Engeland , das Panzerlied oder die antifranzösische Wacht am Rhein von 1854″ (vgl. hier). Wer heute also immer noch meint, es hier wie in China mit politisch unschuldigem Volksliedgut zu tun zu haben, sitzt genau dieser staatlich geförderten Kulturlüge auf – einer Lüge übrigens, die offizielle chinesische Darstellungen sich nicht einmal die Mühe machen, zu verschleiern: „Liuyang River (Liuyang He), a song about Chairman Mao Zedong“, heißt es z.B. ganz unverblümt auf chinadaily.com. Und wer das Lied direkt von schönen Mao-Bildchen begleitet sehen will, wird hier bedient. Hat die deutsche Generalkonsulin in Shanghai vielleicht kein Internet?

…wo sich ja auch dies etwa hier leicht findet: Melodie…

MaoSong

… und Text:

The Liuyang River Bend after a few bends
Tens of miles by sea to the Xiangjiang
River side what the county where
Out what people
Of leading the people to liberation
Ah Yiyayizai yo

The Liuyang river bend over nine bend
in the waterway to the Xiangjiang
Jiang side of Xiangtan County, which
A Chairman Mao
Of leading the people to liberation
Ah Yiyayizai yo

Like the sun
He guide people
Go forward direction
I always follow Chairman Mao hey
The people of Jiangshan long years
Ah Yiyayizai yo

Einschlägig Sprachkompetente mögen bitte die Akkuratesse dieser Übersetzung bestätigen bzw. dementieren…

2) Schlicht unwahr ist hingegen Welschers Behauptung, ein amerikanisches Orchester hätte das „Lied“ auch in der New Yorker Carnegie Hall gespielt. Der Zeitungsnotiz, auf die er sich bezieht (eine Rezension des Philadelphia Inquirer), ist ziemlich eindeutig zu entnehmen, daß der dort als Solist am Klavier auftretende chinesische Pianist Haochen Zhang es als Solo-Zugabe nach dem zweiten Rachmaninoff-Konzert zum Besten gegeben hat.* Und in der Tat ist die (brilliant-virtuose) Klavierversion des Werks ein beliebtes Zugabenstück nicht nur dieses Pianisten (er hat es auch auf seiner CD „Fingerprints“ eingespielt). Nun wird man auch einen noch relativ jungen, 1984 geborenen Künstler fragen dürfen, was ihn veranlaßt, sich gerade dieses Werk offenbar relativ distanzlos zu eigen zu machen, aber man wird auch ohne weiteres einsehen, daß die Aufführung des Stücks in Maos Geburtsstadt in China, auf explizites Verlangen der dortigen Gastgeber und durch ein ganzes Orchester von deutschen „Kulturbotschaftern“ eine damit überhaupt nicht vergleichbare Qualität hat. Ganz davon abgesehen, daß die Aussage „andere machen es ja auch“ (die schon der Intendant mir gegenüber am Telefon geäußert hatte: „mindestens 50 andere internationale Orchester haben in Changsha dieses Stück auch schon gespielt“…) schon immer für die Pseudo-Legitimation der allergrößten menschlichen Gemeinheiten herhalten mußte.

Hartmut Welscher hat Recht: es gibt vermutlich noch viele und ganz andere Gründe, um Asienreisen von deutschen Orchestern zu hinterfragen. Aber keiner davon sollte aus den Augen verlieren lassen, daß der Bamberger Zugaben-Kotau in Changsha einen kulturpolitischen Skandal darstellt.

*) Zusatz 7.12.: dieser Fehler wurde mittlerweile auf der VAN-Webseite korrigiert.

Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

  • Beitrag teilen

  • Recent Posts