Herbst 21: Schüchternheit

Anders lieben (leben, loben). Nochmal zu Thomas Manns „Die Hungernden“

Die „Studie“ des 27-jährigen Thomas Mann, die wohl auch als eine Vor-Studie zur ein Jahr später erschienenen Novelle Tonio Kröger zu verstehen ist, versucht die Hilflosigkeit eines zwischen Abneigung und Zuneigung zu seinen Mitmenschen hin- und hergerissenen, über diese Hilflosigkeit etwas hilflos reflektierenden Individuums zu artikulieren. Im Nachgang zu unserer z.T. etwas erregten Diskussion möchte ich noch einmal meine Position deutlich machen, meine Vorbehalte gegen die meisten im Lauf der Diskussion geäußerten Meinungen und Haltungen… Weiterlesen

Herbst 21: Schüchternheit

Schüchternheit beherrschen

Schüchternheit, wie Stäheli, nicht als individuellen, psychologischen, zu therapierenden Charakterzug sondern als soziales Phänomen zu diskutieren erlaubt auch den Verdacht, dass die Zuschreibung eines Unvermögens (zur Kommunikation, zur Selbstdarstellung, sich in Geselligkeit einzubringen, …), das dann auch verzeihbar wäre – weil da ja jemand schon gerne würde, aber halt nicht kann, sich nicht traut –, für den, dem die Schüchternheit attribuiert wird, nicht nur zum Problem werden, sondern durchaus attraktiv sein könnte. Man könnte es,… Weiterlesen

Herbst 20: Kalkül und Leidenschaft

J. Vogl Ic: Zu Wilhelm Meister

Vogl konstruiert das 1. Kapitel als einen Dreischritt des Scheiterns, der Ernüchterung, der definitiven Kränkung. Das moderne Individuum, das mit einer Weltgewinnungs-Mission (einer „theatralischen Sendung“) aufgebrochen war, geht unter in der amorphen Bio-Masse des kameralistisch verwalteten, ökonomisch erfaßten und gesteuerten Massenvolk-Staats. Ein persönliches Selbstbehauptungs-Projekt versandet kläglich in einem Verwaltungsapparat, der den Einzelnen nur noch als vernachlässigende Nummer, als ersetzbare Größe einer tabellarisch-statistisch organisierten Planwirtschafts-Despotie kennt (also: nicht mehr kennt). Man muß vor dem Hintergrund dieses… Weiterlesen

Herbst 20: Kalkül und Leidenschaft

J. Vogl Ib: Nochmal zur „Poetologie des Wissens“ (oder: let´s forget Marx)

In der Diskussion über Vogls 2010 erschienenes (späteres) Buch Das Gespenst des Kapitals, das in dem mit Birger P. Priddat gemeinsam veranstalteten Blockseminar zur „Kulturphilosophie der Ökonomie“ thematisiert worden war, wurde auch die Frage nach dem epistemologischen Status und dem wissenschaftlichen Geltungsanspruch von Vogls Überlegungen gestellt, vor dem Hintergrund, daß er heutigen ökonomischen Theorien und Theoretikern praktisch jedwede Kompetenz zur Diagnose und zur Prognose der aktuell völlig chaotischen, kontingenten und irrationalen Wirtschaftswelt abspricht. Birger Priddat… Weiterlesen

Wozu überleben?

Für eine gelassene Apokalyptik

Am Rande von zwei Vorträgen im Kolloquium des Zentrums für Kulturproduktion am 5.10.2020 (und zum artsprogram-Jahresthema „Apokalypse und Weltrettung“) Alle ökologiebewußten Aufrufe zum radikalen Um-Denken und Anders-Handeln berufen sich auf ein „So geht es nicht weiter“, das meist alles in Frage stellt außer diesem „weiter“ selbst. Warum es überhaupt „weiter“ gehen soll und muß, scheint weniger eine unbeantwortbare als eine schlechthin unangemessene, weil unanständige Frage zu sein. Jede Form neuer „Moralität“ geht aus von der… Weiterlesen

Herbst 20: Kalkül und Leidenschaft

J. Vogl Ia: Nochmal zu Robinson bei Marx

Da die Antwort auf die Rückfrage von C. Aglibut etwas länger ausfällt, diese hier nicht als „Kommentar“, sondern als eigener Beitrag. Ich habe bisher vier Stellen bei Marx identifiziert, in denen auf „Robinson“ Bezug genommen wird, und muß in der Tat meine Einschätzung etwas revidieren. 1) 1846/47 erwähnt Marx in „Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons ‚Philosophie des Elends‘“ Robinson nur kurz nebenbei, im Zusammenhang mit dem Vorwurf, Proudhon mache sich bei seiner narrativen… Weiterlesen

Herbst 20: Kalkül und Leidenschaft

J. Vogl I: Ethnologische Anti-Ökonomik

Joseph Vogl beginnt das Vorwort seiner 2002 das erste Mal erschienenen Habilitationsschrift Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen* (dessen Lektüre und Diskussion der Spirituskreis sich in diesem Frühling 2020 widmen wird) mit einer auf M. Mead und K. Polanyi gestützten Beschreibung der Lebenswelt eines Einwohners von Papua-Neuguinea. In ihr lasse sich, so seine Rekonstruktion, keinerlei „homogene[r] ökonomische[r] Ordnungszusammenhang“ erkennen (10). Weil es keinen „ökonomische[n] Akt im strengen Sinn“ und daher auch keinen homo oeconomicus… Weiterlesen

Was Menschen können (werden)

Zur Podiumsdiskussion „Künstliche Intelligenz als Apokalypse?“ mit Jan Söffner, Hans Ulrich Gumbrecht und Sam Ginn (11.2.2020)* Aus dem großen Reservoir an möglichen Stellungnahmen und Einwänden zu dieser Diskussion sei zunächst nur dieser eine Punkt ausgewählt: Sam Ginn, der hochdotierte forsche Start-Up-Gründerstar, meinte, die Lächerlichkeit unserer Vorstellung, den Rechnern und der „künstlichen Intelligenz“ etwas voraus haben zu können, damit illustrieren zu können, daß er behauptet, wir hätten bisher einfach als spezifisch „menschliche Kompetenz“ immer nur das… Weiterlesen

Zuschreibungen, Missverständnisse

Überlegungen zum Workshop „Kunst und Gewalt“, Universität Bielefeld

Anschlussüberlegungen zum Workshop „Kunst und Gewalt“ der Arbeitskreise „Soziologie der Künste“ und „Gewalt als Problem soziologischer Theorie“6. und 7. Februar 2020, Universität Bielefeld In funktional differenzierten Gesellschaften delegitimieren Zuschreibungen von Gewalt ein Verhalten ebenso wie die Person, der es zugeschrieben wird. Wer gewalttätig wird, kann nicht „im Recht“ sein (es sei denn, sie oder er handelt in der Rolle einer oder eines Exekutiven des Rechts selbst). Der Delegitimierung lässt sich (vorläufig) über diese Rolle (Monopolisierung… Weiterlesen

Nochmal zur Bamberger „Geste der Völkerverständigung“ in China

Hartmut Welscher hat unter dem Titel „Rote Sonne, schöne Bilder. Deutsche Orchester auf Asientournee“ den hier im Blog geschilderten und mehrfach kommentierten Vorgang in seinem Online-Magazin VAN aufgegriffen, allerdings nur als Texteinstieg und Aufhänger. So richtig das von seiner Überschrift ja bereits angedeutete Anliegen sein mag, sich auch einmal über die ökologische („nachhaltige“) Sinnhaftigkeit von Orchester-Fernreisen Gedanken zu machen, so sehr verkürzt und relativiert es das musikpolitische Grundsatz-Problem, um das es mir (und: eigentlich) geht… Weiterlesen

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