Herbst 19: Blumenberg-Lektüren

Blumenberg IIa: Schiffbruch mit Zuschauer

Als Nachtrag zum Beitrag II: Andrea Rodighiero hat 2009 in einem Aufsatz in „md. Materiali e discussioni per l´analisi dei testi classici“ u.a. auf eine Wiederkehr des Lukrez-Topos bei Proust hingewiesen. Im Band 4 („Sodom und Gomorrha“) seiner „Suche nach der Verlorenen Zeit“ wird eine Szene mit dem gealterten, todkranken Swann so geschildert:

Proust

Die drei Anfangsworte „Suave, mari magno…“ genügen hier, um Lukrez‘ Anfang des zweiten Buchs „De rerum natura“ aufzurufen („Süß ist’s, anderer Not bei tobendem Kampfe der Winde / Auf hoch wogigem Meer vom fernen Ufer zu schauen“); dem wird ähnlich verkürzt aus Genesis 3,19 die Verfluchung des Menschen durch Gott gegenübergegestellt („pulvis“=Staub): „Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zur Erde, denn von ihr bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staube wirst du zurückkehren!“. 

Und Rodighiero kommentiert, hier werde die Grenze überschritten, die „die Rollen trennt und die Gegensätze definiert, die den vollen Sinn der [Schiffbruch-mit-Zuschauer-]Metapher herstellen könnten“. Diese „Abschwächung des Sinns“ sei durch die ebenfalls stark gekürzte andere Formel des „memento…“ generiert, die „die Unterschiede annulliert und die Menschen gegenüber dem gemeinsamen Schicksal des Todes gleichstellt, indem sie die ganze Welt (anfangend mit dem Mikrokosmos des Salons der Guermantes [in dem die Proust-Szene spielt] in ein gefährliches Meer verwandelt und so unbewußt ein Echo auf Pascals ‚vous êtes embarqué‘ darstellt. Alle unterliegen dem Risiko des Schiffbruchs, will Proust sagen, weil wir durch die Unstabilität (inconsistenza) des Staubs geformt und für eine durch Endlichkeit charakterisierte Reise bestimmt sind“.

Vgl. Andrea Rodighiero, „Fortuna di una citazione: il lucreziano Suave, mari magno“, in: Materiali e discussioni per l’analisi dei testi classici, No. 62 (2009), pp. 59-75 (pdf im S1). Dort auch noch weitere Hinweise auf Lukrez-Reminiszenzen bei Augustin, Montaigne, Byron und Tieck (in „Die verkehrte Welt“: dort herrlich ironisch!).

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

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