Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.
Adventskalender 2022. Die vierundzwanzigste Stunde: 23:01 – 24:00 Uhr.

Es war noch nie kurz vor zwölf

Der gute alte Sonnenuntergang, den es als solchen seit Kopernikus ja leider auch gar nicht mehr geben darf, mag mancherorts noch als symbolisch-sinnliches Tagesende taugen (und als Vorwand für den ersten Alkohol des „Sundowners“), als Kriterium für ein klares, objektives, deutliches, also ein „wirkliches“ Ende ist er unbrauchbar. Da muß eine zumindest auf gemeinsame Zeitzonen eingenordete digital-präzise Punktualität her, ein „Schlag zwölf“, der gleich-zeitig ein „Schlag Null“ ist.[1] Die größte und reifste Stunde des Tages… Weiterlesen

Adventskalender 2022. Die erste Stunde: 00:01 – 01:00 Uhr.

Jeder neue Tag beginnt mitten in der Nacht

Das alte Witzwort, nach dem der Tag nur 24 Stunden hat und jeder, dem das nicht reicht, einfach noch die Nacht dazunehmen muß, nutzt trivialerweise die semantische Ungenauigkeit, die mit dem Terminus „Tag“ zum Einen eine Ganzheit meint, zum anderen nur einen Teil davon; und dieser Teil, dem die Ehre zuteil wird, für den wichtigeren gehalten zu werden, darf den anderen immer „mitmeinen“; so wie der englische man wie der italienische uomo eben nicht nur „Mann“, sondern auch „Mensch“ sein darf. Auch der Tag und die Nacht schaffen Weiterlesen

Die Zeitung von gestern. Zu Simon Strauß‘ FAZ-Feuilleton-Glosse „Aufgepaßt“ vom 18.1.2021

Aude non audire

Die Tugend des gern gelobten „Zuhören-Könnens“ gilt als hoch korrekte zentrale Sozialkompetenz avancierter wokeness, aber gibt es auch eine veritable Pflicht zum Zuhören? Kommt darauf an, wird man sagen, und Situationen und Kontexte aufzählen, die je nach Art, Funktion und Absicht des Gesprächs und je nach Anzahl der an ihm Beteiligten jeweils Bejahung und Verneinung erlauben. Menschen, die fürs (genaue) Zuhören bezahlt werden (Therapeuten, Richter, polizeiliche Vernehmer, Beichtväter) und Dialogpartner in sozialen Kleinst- also diadischen… Weiterlesen

Adventskalender 2021

22

FF: Frolicsome Finale? NN: Noch nicht! Fast schon jovial-feierlaunige „Schnapszahl“-Qualität hat die offizielle Norm-Anzahl von Fußballspielenden (anständiger dilettantischer Kiez- und Kleinfeld-Fußball braucht allerdings viel weniger), auch weil die 22 das Wiederholungs- und Alliterationsspiel mit zwei Zwillingszeichen exemplifiziert (zwei eben: genausoviel wie zur weihnachtlichen Erfüllung noch fehlt!). Man kennt das Verdopplungs-Spiel auch mit Buchstaben, etwa aus Benjamin Brittens (=BB!), mit einem kleinen Orchester (etwa 22 Mitgliedern) gut aufführbarer, ca. 22 Minuten dauernder „Simple Symphony“ (=…), wo… Weiterlesen

Adventskalender 2021

13

Dreizehn Thesen zu „Dreizehn Thesen…“. „Thesen“, also Positions-Posituren, Aufstellungen von mehr oder weniger apodiktisch formulierten Behauptungen kommen meist im festen Verbund daher, als abgeschlossene Serie und überschau- und zählbares Ensemble. Während Argumente sich horizontal miteinander verknüpft und verkettet wie ein ausfransender Teppich präsentieren, treten Thesen auf wie senkrechte Stelen, wie eine Ansammlung von nebeneinander aufragenden Gedanken-Säulen. Weiterlesen

Adventskalender 2021

10

Ok, wir haben normalerweise 10 Finger und 10 Zehen, und Ersteres ist beim (klassischen) Klavierspielen insofern sinnvoll, weil auch bei vollsten Akkordgriffen immer noch ein paar Reserve-Finger übrig sind (Akkorde mit mehr als acht gleichzeitig gespielten Tönen wird man außer bei Rachmaninov kaum finden, meistens sind es nur vier oder fünf) – und auch beim Tastaturtippen am Computer ist das „Zehnfingersystem“ nur eine „Over-Achiever“-Option für Angeber. Und wenn man noch mehr Finger hätte, bekäme man wahrscheinlich die Koordinationsprobleme des Tausendfüßlers. Trotzdem gehört die Zehn eher zur Kultur als zur Natur, eher zur Hierarchie als zur Biologie, Weiterlesen

Herbst 21: Schüchternheit

Anders lieben (leben, loben). Nochmal zu Thomas Manns „Die Hungernden“

Die „Studie“ des 27-jährigen Thomas Mann, die wohl auch als eine Vor-Studie zur ein Jahr später erschienenen Novelle Tonio Kröger zu verstehen ist, versucht die Hilflosigkeit eines zwischen Abneigung und Zuneigung zu seinen Mitmenschen hin- und hergerissenen, über diese Hilflosigkeit etwas hilflos reflektierenden Individuums zu artikulieren. Im Nachgang zu unserer z.T. etwas erregten Diskussion möchte ich noch einmal meine Position deutlich machen, meine Vorbehalte gegen die meisten im Lauf der Diskussion geäußerten Meinungen und Haltungen… Weiterlesen

Herbst 20: Kalkül und Leidenschaft

J. Vogl Ic: Zu Wilhelm Meister

Vogl konstruiert das 1. Kapitel als einen Dreischritt des Scheiterns, der Ernüchterung, der definitiven Kränkung. Das moderne Individuum, das mit einer Weltgewinnungs-Mission (einer „theatralischen Sendung“) aufgebrochen war, geht unter in der amorphen Bio-Masse des kameralistisch verwalteten, ökonomisch erfaßten und gesteuerten Massenvolk-Staats. Ein persönliches Selbstbehauptungs-Projekt versandet kläglich in einem Verwaltungsapparat, der den Einzelnen nur noch als vernachlässigende Nummer, als ersetzbare Größe einer tabellarisch-statistisch organisierten Planwirtschafts-Despotie kennt (also: nicht mehr kennt). Man muß vor dem Hintergrund dieses… Weiterlesen

Herbst 20: Kalkül und Leidenschaft

J. Vogl Ib: Nochmal zur „Poetologie des Wissens“ (oder: let´s forget Marx)

In der Diskussion über Vogls 2010 erschienenes (späteres) Buch Das Gespenst des Kapitals, das in dem mit Birger P. Priddat gemeinsam veranstalteten Blockseminar zur „Kulturphilosophie der Ökonomie“ thematisiert worden war, wurde auch die Frage nach dem epistemologischen Status und dem wissenschaftlichen Geltungsanspruch von Vogls Überlegungen gestellt, vor dem Hintergrund, daß er heutigen ökonomischen Theorien und Theoretikern praktisch jedwede Kompetenz zur Diagnose und zur Prognose der aktuell völlig chaotischen, kontingenten und irrationalen Wirtschaftswelt abspricht. Birger Priddat… Weiterlesen

Wozu überleben?

Für eine gelassene Apokalyptik

Am Rande von zwei Vorträgen im Kolloquium des Zentrums für Kulturproduktion am 5.10.2020 (und zum artsprogram-Jahresthema „Apokalypse und Weltrettung“) Alle ökologiebewußten Aufrufe zum radikalen Um-Denken und Anders-Handeln berufen sich auf ein „So geht es nicht weiter“, das meist alles in Frage stellt außer diesem „weiter“ selbst. Warum es überhaupt „weiter“ gehen soll und muß, scheint weniger eine unbeantwortbare als eine schlechthin unangemessene, weil unanständige Frage zu sein. Jede Form neuer „Moralität“ geht aus von der… Weiterlesen

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