Herbst 19: Blumenberg-Lektüren

Blumenberg IV: Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans

Ich stelle hier nur eine kurze Zusammenfassung zur Diskussion. Der Text schließt direkt an den Nachahmungs-Aufsatz an; hier wird ab S. 60 die Idee wiederholt, daß gegenüber einer Welt, verstanden als durch einen göttlichen Willen realisierte Schöpfung, auch der Künstler zum Schöpfer eines mit diese Welt konkurrierenden Nach-Schöpfers wird, der sie allerdings nicht mehr idealisieren und optimieren kann (und darf), sondern ihr im Roman „eine Welt“ als „weltebenbürtiges“ Werk an die Seite stellt. Wichtig finde ich die Fußnote 11 (S. 61), wo Blumenbergs (anderswo breiter ausgefaltete) Vorbehalte gegen die „Säkularisierungs“-Theorie deutlich werden: Gerade durch die „Theologisierung der Welt“ wird sie zu einer, faktisch vorhandenen, kontingenten Welt, neben die sich nun die möglichen „zweiten Welten“ des Romans positionieren können, die sich „im Raume des von Gott und der Natur nicht Verwirklichten“ (62) ansiedeln.

Der damit verbundene moderne, entsubstanzialisierte Wahrheitsbegriff bleibt dann nur noch funktional bezogen auf das vom Menschen selbst hergestellte (auf seine „Kulturwerke“), und gerade so kommt es zu einer „nie zuvor gekannte[n] metaphysische[n] Dignität des Kunstwerkes“ (64).

Die inhärenten „Schwierigkeiten“ des Romans, seine „nur amorph zu lösende Aufgabe“ (65), resultieren aus dem Dilemma seiner formalen Endlichkeit bei „potentieller Unendlichkeit“, die durch seinen extrem „welthaltigen“ Bezug auf seinen unendlichen Kontext gegeben ist. Diese immanente Unmöglichkeit kann man nur durch ironische Selbstreflexion (Sterne, J. Paul, auch Th. Mann), durch Multiperspektivität (Balzac) oder durch monumentale Unfertigkeit (Musil, Proust) bewältigen. Wichtig scheint auch die These, daß der Roman (anders als die Lyrik, und – so müßte man wahrscheinlich hinzufügen – als das Theater) einem „Wirklichkeitsideal der immanenten Konsistenz“ verpflichtet bleiben muß; er kann weder dem Ideal der Karikatur (hier angedeutet durch das für sie im 17. Jahrhundert ausgegebene Ideal der „perfetta deformitá“) noch dem des Absurden (für das das Schlagwort von der „Überwindung des Fundaments“ des russischen Konstruktivisten El Lissitzky anzitiert wird) entsprechen, sondern hat „seinen eigenen, aus seiner Gattungsgesetzlichkeit heraus entwickelten ‚Realismus‘“ (72). Er entspricht dem ästhetischen Ideal, das in einer Bemerkung von Samuel Johnson formuliert wird; hier die vollständige Stelle aus der Samuel-Johnson-Biographie von Boswell, auf die Blumenberg ganz am Ende anspielt:

Johnson

J.W. Croker, Boswell´s Life of Johnson […], London 1848, S. 573.

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

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