Herbst 19: Blumenberg-Lektüren

Blumenberg II: Schiffbruch mit Zuschauer

Blumenberg zeichnet eine Evolution der Schiffbruchs-Zuschauer-Metapher nach, die man als paradoxale gleichzeitige Dramatisierung und Normalisierung beschreiben könnte: wenn die klare Trennung Schiffbrüchige vs. Zuschauer wegfällt bzw. verwischt wird, weil „wir“ gleichzeitig beides sind, dann wird auch klar, daß das „Abenteuer Seefahrt“ gar kein Resultat einer Entscheidung mehr ist (die den „Mutigen“ vom „Furchtsamen“ unterscheiden könnte), sondern – navigare necesse est! – der Aufbruch ins Ungewisse ist uns qua Existenz immer schon aufgezwungen („vous êtes embarqué“). Aber dann ist auch der „Schiffbruch“ kein besonderes, kontingentes Ereignis mehr, sondern der ist dann eben das unvermeidliche Ende jeder menschlichen Seefahrt, nämlich als Tod – wie es Schopenhauer dann ja ausspricht: der „größte, totale, unheilbare“ Schiffbruch (vgl. S. 68). Aber damit wird er auch normalisiert und quasi verharmlost, als eben ganz übliches Menschengeschick. Dadurch wird zwar nun die in der Ursprungsmetapher angelegte moralische Fragwürdigkeit des teilnahmslosen Bystanders aufgelöst, aber verliert so die Rede vom Schiffbruch nicht auch jede Prägnanz und jeden „Reiz“ für einen dazu noch denkbaren „Zuschauer“? Daß wir alle irgendwann sterben müssen, ist ja auch nur eine genauso triviale Einsicht wie die platte Rede, daß „Scheitern“ immer auch eine „Chance“ ist, usw. Es könnte sein, daß sich spätestens mit Schopenhauer die Metapher so „herunterbanalisiert“ hat, daß sie i.e.S. wertlos wird.

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

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