„Die Schanze brennt? Das ist doch Käse! / Geht doch zündeln in Blankenese!“ oder: Das Rote Sancta-Flora-Prinzip
von Joachim Landkammer (12.7.2017)
Viel Kritik, Entrüstung und Verachtung (es droht sogar ein Strafverfahren) hat er schon einstecken müssen, der Anwalt und Sprecher der Roten Flora Andreas Beuth für sein sehr oft zitiertes, wohl etwas unvorsichtig einem Reporter in die Kamera geplappertes Nach-G-20-Statement: dafür, daß man das eigene Viertel, „wo wir wohnen und einkaufen“, verwüste, hätte er dann („bei aller Sympathie“ für den schwarzen Block) doch kein Verständnis; warum man sich nicht stattdessen an Hamburgs vornehme Stadtviertel wie „Blankenese oder Pöseldorf“ gehalten habe?
Dabei muß ja sofort auffallen, daß der aberwitzige Kommentar nur ein altbekanntes linkes Problem reaktualisiert. Beuths neues Rotes St.-Flora-Prinzip ist ja nicht nur eine linksideologisch politisierte Version des gutbürgerlichen St.Florians-Spruchs („Heiliger Sankt Florian / Verschon mein Haus, zünd andre an“ – die Amerikaner sprechen vom NIMB-Denken: „Not In My Back Yard“), sondern operiert ja auch mit jener Unschärfe, die revolutionäre Rhetorik seit den altehrwürdigen Vormärz-Tagen charakterisiert, in denen der Hessische Landbote die Losung „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ ausgegeben hatte.
Daß das bis heute noch nie so recht geklappt hat, weil am Ende dann doch immer ganz viele „Hütten“ und sehr wenige „Paläste“ gelitten hatten, hat offenbar nichts an der Attraktivität des Slogans geändert. Die Illusion, daß sich eine klare Grenze ziehen lasse (jene „rote Linie“, von der merkwürdigerweise immer dann die Rede ist, wenn sie gerade überschritten wurde) zwischen denen, die die Gewalt „verdienen“ und denen, in deren Namen sie ausgeübt wird und die daher von ihr verschont bleiben müssen, hat sich über Jahrhunderte linker Generationen erhalten, trotz massiver historischer Gegenbeweise. In der Tat war diese Grenze im Eifer des revolutionären Gefechts auch nie wirklich sinnvoll einzuhalten: daß immer mehr Hütten brannten als Paläste, liegt nicht nur daran, daß es immer sehr viel mehr Hütten als Paläste gibt, sondern auch daran, daß man, gerade wegen dieser quantitativen Asymmetrie, immer gern ruhig ein paar kaputte Hütten in Kauf nehmen zu können glaubt, nur damit endlich auch einmal die Paläste mit draufgehen. Das sind dann eben die Späne, die fallen müssen, wenn der revolutionäre Hobel angesetzt wird, die Eier, die man für das Revolutionsomelett eben nun mal zerschlagen muß, die „Opfer“, ohne die „großes Handeln“ nun mal nicht geht (großes Denken übrigens auch nicht: „Wer groß denkt, muß groß irren“, tönt Heidegger, der es ja schließlich wissen muß).
Über die skrupellose Opfer-Logik hinaus darf man aber auch davon ausgehen, daß es leider ziemlich „gute“ Gründe dafür gibt, entgegen dem gut gemeinten, beschwichtigenden Slogan gegen die (eigenen) Hütten sogar als revolutionäres Primärziel vorzugehen. Denn der gefährlichste Feind der Revolution mußte ja schon seit langem viel eher auf jener Seite ausgemacht werden, die man eben nur im vorrevolutionären Dämmerzustand noch für die „eigene“ halten konnte. Jeder auch nur minimal-links sozialisierte Teenager kann heute jenen berüchtigten Reimvers (wenn wir nun schon mal bei solchen sind) ergänzen, der mit der rhetorischen Frage beginnt „Wer hat uns verraten?…“. Seit der Spaltung der Linken in „Halb-“ und „Wirklich“-Linke, seit dem Schisma zwischen Reform und Revolution, ist den radikalen Minderheitslinken klar, wo sie zuallererst ihre mehr oder weniger subtile Überzeugungsarbeit leisten müssen. Die ganze Naivität (oder muß man sagen: die „Autonomie“?) des Autonomensprechers enthüllt sich in der geschichtsblinden Ignoranz, die ihn an der Einsicht hindert, daß die Revolution natürlich nur im Schanzenviertel und eben nicht in Blankenese beginnen kann. Denn während ein brennender Luxuswagen in den wohlhabenden Vierteln nur ein Versicherungsfall und nach ein paar Tagen durch einen neuen, noch luxuriöseren ersetzt ist, führen Zerstörungen im Kleinbürger-Viertel genau zu jener Wahrnehmung sozialen Existenzverlusts, permanenter Bedrohung und auswegloser Hilflosigkeit, die – endlich, endlich – auch noch den optimistischsten Revisionisten in klassenbewußte Revolutionsbereitschaft versetzt, oder: versetzen soll. Denn das zumindest ist das geschichtsblinde Kalkül: daß die bedrohte Petite-Bourgeoise, wenn ihre „Hütte brennt“, stattdessen lieber das ultrarechte Löschkommando ruft und Schutz vor dem schwarzen im braunen Block sucht, könnte man ebenfalls schon lange wissen – und fürchten.
Umsonst ist die Anrufung von Sancta Flora wie die von Sankt Florian. Gewalt ist eben ein kaum lokal zu begrenzendes Phänomen: es nach „Blankenese“ auslagern zu wollen ist so naiv wie die Idee des cleveren Zauberlehrlings, der sich eben mal Wasser für die Badewanne holen lassen wollte. Gewalt ist der Bumerang, der immer wieder zurückkommt und auf die eigenen Füße fällt*; Gewalt ist ein Virus, eine unzähmbare Krake, ein (anti)-zivilisatorisches Urelement, mit dem auch nur zu kokettieren man sich vielleicht heute endlich versagen sollte.
* „that we but teach / Bloody instructions, which, being taught, return / To plague th‘ inventor“ (Macbeth 1.7)