Kompetitive (In-)Kompetenz (14.07.2017)
von Joachim Landkammer
Schade. Man wäre gern dabei gewesen, auf einer der ganz wenigen Tagungen, die schon im Titel den Begriff nennen, der uneingeschränkte Zustimmung verdient und zu dem beizutragen man sich sofort berufen (und … kompetent?) fühlt: die erste „Inkompetenzkonferenz“, ausgerichtet von drei Fachbereichen der Goethe-Universität zu Frankfurt (Medizin, Rechtswissenschaft, Didaktik der Biowissenschaften) und unter interdisziplinärer Beteiligung prominenter (und … kompetenter?) Vertreter u.a. aus Philosophie (Konrad Paul Liessmann) und Soziologie (Stefan Kühl).
Die FAZ, auf die man sich aufgrund eigener Absenz wiedermal verlassen muß, hat sogar in zwei voneinander unabhängigen Texten davon berichtet; Hannah Bethke („Volontärin“) durfte am 11.7 in der Rhein-Main-Ausgabe einen vor allem um den Kampfbegriff „Neoliberalismus“ kreisenden Text schreiben, Thomas Thiel hingegen hat zwei Drittel des von ihm geleiteten Ressorts „Forschung und Lehre“ am 12.7. gefüllt. Erst weitere eigene kurze Nachforschungen ergeben allerdings (so viel zur journalistischen … Kompetenz), daß der Tagungstitel den Übertitel „Kompetent in Kompetenz?“ hatte und im Untertitel die Verneinungssilbe „In“ in der „Inkompetenz“ durchwegs in Klammer gesetzt war. Damit wollten die Veranstalter offenbar andeuten, daß hinter jeder gewünschten, geforderten, erwarteten Kompetenz der Inkompetenz-Verdacht lauert, vor allem wohl bei der im Tagungsübertitel genannten Kompetenz zweiter Ordnung: wenn sich nämlich die Frage stellt, wie kompetent diejenigen sind, die über Kompetenz reden (zu dürfen glauben).
Genau das aber ist wohl in Frankfurt ausgiebigst geschehen, und zwar in ausschließlich kritisch-ablehnender Haltung (daher beschreibt die weggelassene Klammer inhaltlich das Thema doch viel genauer). Die Insistenz der „Kompetenzorientierung“ in Lehre und Ausbildung, von der Grundschule bis in die Bologna-Universität, wurde offenbar von allen Vortragenden angeprangert als naives Zugeständnis an Ökonomisierung, Arbeitsmarkt-Anpassung, Meßbarkeitswahn, standardisierte Leistungs-Objektivierbarkeit und an eine sentimental-triviale, küchensozialpsychologische Empathie-Erwartung („Spiegelneuronen“). Damit verbunden sei, so der Tenor, der Ausverkauf von Fachwissen und herkömmlicher Bildung. Die in Frankfurt zusammengekommenen Wissenschaftler verstanden sich wohl als „kämpferische“ (Bethke) Widerstandsgruppe gegen eine Bildungspolitik, der man ein freiheitsfeindliches Erziehungsbild, eine tayloristisch gedachte Vorstellung von Didaktik und daher möglicherweise sogar Verfassungswidrigkeit vorwirft.
Man kann all dem in weiten Teilen nur zustimmen. Trotzdem hätte man sich zusätzlich überlegen können, ob man nicht vielleicht effizienter (und …kompetenter?) der Kompetenz-Inflation entgegentreten kann, indem man bei dem so gehypten Unterscheidungs-Paradigma bleibt und auf das in ihm liegende Freiheitspotential der „Inkompetenz“ verweist. Denn wenn so genau bestimmt werden kann, wer wo wofür welche Kompetenzen haben muß, dann kann man doch immer auch präzise angeben, welche Inkompetenzreste übrigbleiben, die mich im Einzelfall für „inkompetent“, und das heißt ja schlicht für „nicht zuständig“ erklären. Je detaillierter die Erwartungen, desto einfacher ist es, sie zu unterlaufen und sich gut begründbar zu verweigern. Wenn die unerschöpliche Pandora-Büchse der Kompetenzen erstmal geöffnet ist, lassen sich auch leicht die Spezial-Kompetenzen (er)finden, die mich zwar im organisatorisch-arbeitsrechtlich verlangten Sinn leider als „inkompetent“, dafür aber nach so ganz anderem, bewundernswerten Alternativ-Maßstab als geradezu überwältigend „kompetent“ erscheinen lassen müssen.
Nichts anderes hatte ja Odo Marquard im Sinn, als er 1973 berühmterweise das Anforderungsprofil des Philosophen durch die „Inkompetenzkompensationskompetenz“ definierte. Wer dank außer seiner Macht stehender Verschiebungen im Wissensmanagement der Gesellschaft seine Zuständigkeit für autoritative Erkenntnisse (eben seine „Kompetenz“) verloren hat, kann immer noch aus dieser Unzuständigkeit eine Tugend machen. Denn auch diese Unzuständigkeit, also das (Noch-)Nicht-Wissen, die Unsicherheit, das Dilettantische, das (aktuell) Illegitime will verwaltet, betreut, gepflegt werden; freilich nicht „irgendwie“, sondern eben: „kompetent“. Vielleicht sollte man also bei aller – völlig richtigen – Kompetenzbegriffskritik nicht die Kompetenz der Inkompetenz außer Acht lassen. Auch wenn die Gesellschaft dazu tendiert, es zu vergessen: ihre Zustände brauchen auch Unzuständige.