Seit dem 19. Jahrhundert wird der Tag konzeptuell gedrittelt. Acht Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit, acht Stunden „freie“ Zeit. Eine Forderung, die der walisische Unternehmer und Sozialpolitiker Robert Owen 1810 erstmals formulierte. Fast 60 Jahre später wurde 1867 in Illinois ein Gesetz erlassen, das den Achtstundentag rechtlich verankerte – ein Konzept, das Henry Ford 1926 für seine Mitarbeiterinnen übernahm und zum nationalen Exempel statuierte. Präsident Roosevelts „Fair Labor Standards“ von 1938 proklamierten folglich, dass Arbeitsstunden, die über die 8h-Schwelle hinausgingen, als Überstunden vergütet werden müssen. In Deutschland wurde der Achtstundentag 1918 amtlich und seit 1866 auf dem Internationalen Arbeiterassoziationen-Kongress in Genf (unter anderem von Karl Marx und Friedrich Engels) als Standard eingefordert.
Die vorangehende Überlegung dieses kleinen Textes soll nun lauten, dass das Gegenteil von Arbeit weniger das Nicht-Arbeiten oder der Schlaf als der Blick in den Himmel sein könnte. Astronom*innen würden darüber vielleicht müde schmunzeln und dennoch können sie aus besagter Vorannahme nicht gänzlich ausgenommen werden. So geht Joseph Vogls Text „Wolkenbotschaft“ gerade dem Umstand nach, dass Galileo im Jahr 1610 die erst kürzlich entdeckten Jupitermonde weit weniger häufig am Nachthimmel erblickte, als er gehofft hatte, »denn der Himmel war ganz mit Wolken bedeckt« (Galileo, Siderius Nuncius, zit. n. Vogl, 2005: 69). Wer Heinrich Hoffmanns Hans-guck-in-die-Luft aus dem Struwwelpeter kennt, weiß, dass dort das Gegenteil von Arbeit das In-den-Himmel-Schauen ist. Hans ist zwar kein Astronom, hat den Kopf aber dennoch in den Wolken, denn: „Wenn der Hans zur Schule ging/ Stets sein Blick am Himmel hing./ Nach den Dächern, Wolken, Schwalben/ Schaut er aufwärts, allenthalben« (Hoffmann, 1876: 21ff.). Der Ausgang ist wenig überraschend, Hans stolpert und fällt zum Erstaunen diverser Tiere auf den Boden oder in den Fluss, tut also alles andere als zur Schule oder zur Arbeit zu gehen. Nicht ganz entfernt von Hans arbeitsuntauglicher Blickrichtung ist es auch Büchners Lenz »manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte« (Büchner, 2015: 3). Wer so geht, bemerkt Paul Celan in seiner Büchner-Preis-Rede, der habe den „Himmel als Abgrund unter sich“ (Celan, 1999: 7, Ab. 26b).
Ohne gezwungenermaßen kopfüber zu gehen und vielleicht ohne zu fallen, wollen wir es Lenz oder Hans zumindest gedanklich gleichtun und den Blick (um 17 Uhr) gen Himmel richten. Was wir sehen, falls wir etwas sehen, sind wahrscheinlich Wolken, also Ansammlungen aus kondensiertem Wasserdampf in Form von Tröpfchen und/oder Eiskristallen. Ihre Form hängt von ihrer Höhenlage ab, denn in den unterschiedlichen Höhenschichten der Atmosphäre herrschen unterschiedliche Temperaturen und Druckverhältnisse. Wird der Taupunkt unterschritten, kondensierte der sonst unsichtbare Wasserdampf an winzigen Partikeln der Luft, den sogenannten Kondensationskernen.
Bis in 19. Jahrhundert war an einen wissenschaftlich fundierten Wetterbericht nicht zu denken. Wolken erschienen in ihrem ereignishaften Charakter zu flüchtig und in ihrer Gestalt zu einzigartig, um sie in einem zusammenhängenden Schema zu systematisieren. Als „Erfinder“ der Wolke gilt daher der Apotheker und Naturforscher Luke Howard, der in seinem Essay on the Modifications of Clouds (1803, Philosophical Magazine, XVI) trotz besagter Wolkenkomplexität ihr erstes Klassifizierungsschema vorstellt. Howard führt aus:
»By modification is to be understood simply the Structure or manner of aggregation, not the precise form or magnitude, which indeed varies every moment in most Clouds. The principal Modifications are commonly as distinguishable from each other as a Tree from a Hill, or the latter from a Lake; although Clouds in the same modification, considered with respect to each other, have often only the common resemblances which exist among trees, hills, or lakes, taken generally« (Howard 1864: 2).
In seiner Nomenklatur unterscheidet Howard vier Grundtypen nach der Art und Weise der manner of aggregation, also dem Modus ihrer Anhäufung oder Zusammenlagerung: Cirrus (die Federwolke), Cumulus (die Haufenwolke), Stratus (die Schichtwolke) und Nimbus (die Regenwolke). Howards Nomenklatur ist noch heute gültig und wurde um weitere Mischtypen ergänzt. Insgesamt kennt die Meteorologie zehn Wolkengattungen. Der Leiter der Anstalten für Kunst und Wissenschaft im Herzogtum Sachsen-Weimar, Johann Wolfgang von Goethe, stieß im Zuge der Einrichtung einer meteorologischen Station auf dem Ettersberg auf die Arbeiten Howards. Von Howards Nomenklatur und empirischen Methoden überzeugt, widmete er ihm die drei kurze Gedichte – „Atmosphäre“, „Howards Ehrengedächtnis“ und „Wohl zu merken“ -, von denen das erste (1822 publiziert, in: Zur Naturwissenschaft überhaupt, Bd. I, H. 4) nun den Abschluss unserer kurzen Wolkenexkursion markieren soll:
Atmosphäre
„Die Welt, sie ist so groß und breit,
Der Himmel auch so hehr und weit,
Ich muß das alles mit Augen fassen,
Will sich aber nicht recht denken lassen.“
Dich im Unendlichen zu finden,
Mußt unterscheiden und dann verbinden;
Drum danket mein beflügelt Lied
Dem Manne, der Wolken unterschied.