Wozu überleben?

Für eine gelassene Apokalyptik

Am Rande von zwei Vorträgen im Kolloquium des Zentrums für Kulturproduktion am 5.10.2020 (und zum artsprogram-Jahresthema „Apokalypse und Weltrettung“)

Alle ökologiebewußten Aufrufe zum radikalen Um-Denken und Anders-Handeln berufen sich auf ein „So geht es nicht weiter“, das meist alles in Frage stellt außer diesem „weiter“ selbst. Warum es überhaupt „weiter“ gehen soll und muß, scheint weniger eine unbeantwortbare als eine schlechthin unangemessene, weil unanständige Frage zu sein. Jede Form neuer „Moralität“ geht aus von der impliziten These der scheinbar eindeutigen Immoralität („blanker Zynismus“) der Infragestellung der Überlebensnotwendigkeit der Menschheit überhaupt. Und sicherlich kassiert ein Denken, das sich der (je nach Komplexitäts-Toleranz unterschiedlich komplex gestellten) Frage stellt, wie es „trotz allem“ weitergehen könnte, den Bonus hoher, ja allerhöchster gesellschaftlicher, nein: menschheitsgeschichtlicher Relevanz. Optimismus mag so naiv sein, wie er will, drittmitteltauglich bleibt er allemal – während sich der unkenrufende Vergeblichkeits-Überzeugte ins Abseits jeder fortschrittszugewandten Wissenschaft und jeder konsensfähigen Moral manövriert. Man muß eben ein 88 Jahre alter Sozialwissenschaftler nach dreifacher Bypass-Operation sein wie Mayer Hillman, um ein letztes öffentliches Wort wie „We´re doomed“ gelassen aussprechen – und sich von jeder Forschungs- und Publikationstätigkeit zum Klimawandel-Thema zurückziehen zu können.

Alle anderen eifrigen Sucher nach aktuellen Überlebensmöglichkeiten für „die“ Menschheit und „den“ Planeten setzen sich dem Verdacht aus, damit vor allem das eigene Überleben, das ihrer Disziplin, ihrer Profession, letztlich aber vor allem ihres eigenen „Jobs“ im Blick zu haben. „De te fabula narratur“ möchte man jedem zurufen, der uns wiedermal seine ganz neue Fabel von der möglichen Bewältigung der globalen Klimakrise aufgetischt hat. Es muß offenbar ein sehr selbstverliebtes Zutrauen in die eigene intellektuelle Potenz besitzen, wer heute noch zu wissen glaubt, nicht nur daß, sondern auch wie es mit „uns“ auf dieser geschundenen Erde und mit diesen geschundenen Menschen weitergehen soll. Nicht nur ehrlicher, sondern auch altruistischer, inklusiver, und in einem tief pessimistischen Sinn solidarischer scheint es dann doch zu sein, sich endlich einzugestehen, daß keine Lösung in Sicht ist, nirgendwo, in keiner einzigen sinnvoll für alle vorstellbaren Zukunft. Denn daß all die kühnen Entwürfe, mit denen sich „die“ Menschheit retten kann und soll, nur mit extrem hohen Abstrichen an dem, was wir bisher für „menschlich“ hielten (Autonomie, Individualität, Gleichheit, Gerechtigkeit, Toleranz, Inklusion, usw.) zu haben ist, wird ja gern verschwiegen – nicht nur da, wo der eurozentrische, elitäre oder neo-faschistische Unterton mancher Menschheits-Survival-Projekte sowieso nicht zu überhören ist. Den Vorwurf des „menschenverachtenden Zynismus“ kann der Apokalyptiker also mit gutem Recht an die Fanatiker der Weltrettung zurückspielen. Er plädiert nämlich lediglich für ein würdevolles Abtreten, für eine gelassen-menschenfreundliche, weil endlich wahrhaft menschheits-einende Akzeptanz des Unausweichlichen: daß die Menschheitsgeschichte eine endliche, und erdgeschichtlich in the longest run eher marginale Episode darstellt, deren definitivem Ende man mit sehr ruhigem Blut und d.h. vor allem ohne durch Torschluß-Panik ausgelöste Macht- und Gewaltphantasien ins finstere Medusa-Antlitz blicken sollte. Wie uns all die großen Pessimisten von Leopardi über Schopenhauer bis Cioran gelehrt haben (insofern: keinerlei Originalitätsanspruch des hier schreibenden Autors!), kann (nein: muß) die Geschichte der Menschheit, nach dem unvermeidlichen Wegbruch aller religiösen und metaphysischen Tröstungen, als eine große und eigentlich schon viel zu lange dauernde, weil viel zu viel Leid kostende Geschichte des Scheiterns gelesen werden. Im Finale dieses großen theatrum mundi tritt als Deus ex machina kein „Sein“ mehr auf, aus dem noch irgendein „Sein-Sollen“ des menschlichen Lebens als solchem zu deduzieren wäre. Die Vorstellung, der Mensch könnte diese Welt als seine „Heimat“ betrachten und in ihr „wohnen“, war schon immer eine nur mit Landnahme, Besitzanspruch, Vertreibung und Gewalt durchzusetzende Illusion. „Fremd sind wir eingezogen, fremd zieh´n wir wieder aus“… Es ist Zeit, daß der Mensch seine Winterreise ins Nichts antritt und sich zum Wohl des Planeten und all seiner Mitmenschen endlich „selbst-entheimatet“. Diese christliche Überzeugung mag bleiben und Bestand haben bis zuletzt: daß wir nur „Gast“ sind auf einer ungastlichen, unwirtlichen, uns nicht wollenden und nicht brauchenden Erde. Man könnte es als eine allerletzte Aufgabe der „Menschlichkeit“ auffassen, sich als angenehme „Gäste“ zu verhalten, die wissen, daß und wann sie zu gehen haben, die sich nicht gegenseitig verdrängen, weil sie meinen, sie müßten noch irgendwas als „das Ihre“ verteidigen (etwa: „die Festung Europa“ gegen die „Islamisierung“), die nicht verzweifelt-ängstlich an irgendwelchen bestehenden Beständen festhalten, die ihnen sowieso noch nie „gehört“ haben. Die menschengemachte Erderwärmung schafft ja nicht nur ein intellektuelles Treibhaus von wild sich überschlagenden Überlebensprojekten, sondern sie riskiert, vor allem draußen „auf der Straße“ die Gemüter zu erhitzen: zu plädieren wäre daher für ein gelassen-ironisches Cooling-Down all der selbsternannten Weltretter und ihrer Adepten. Eine noch in Jahrmillionen friedlich um die Sonne kreisende, von dem winzigen Störfall „Menschheit“ längst bereinigte „Gaia“ ist doch eine tief beruhigende Idee: wir müssen uns eine ohne Menschen durchs All rollende Erde als einen glücklichen Planeten vorstellen.

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

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