Joachim Landkammer
Man nimmt sich, man bekommt (Dank an die Töpfer-Stiftung) „eine Woche Zeit“ – bzw., präziser, drei Tage Zeit, mit einer langen abendlich-nächtlichen Einleitung. Die Zeit soll genutzt werden für das, was auch dauerndes Thema war: Interaktion unter Anwesenden. Denn die Frage nach den ehemaligen und zukünftigen Möglichkeiten und Grenzen der Universität, von der die „Kritik“ an ihr und ihren Äußerungen ja nur eine Erscheinungsform unter anderen darstellt, ist eine Frage nach der Notwendigkeit und den Chancen von gleichzeitiger Präsenz unterschiedlicher RollenträgerInnen. Jedes Reden über die Universität führt ihre Gegen- und Außenseite mit, das „Außerhalb-der-Uni“, sei dies gedacht als alternative Formen des Lehrens und Lehrens, als außeruniversitäre Aktivitäten und Sphären (etwa: Politik), sei es schlicht als jegliches „Leben nach der Uni“, also Beruf, Karriere, Biographie. Noch vor jeglicher inneruniversitären „Kritik“ steht die Universität in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungen von „außen“; sie ist unterschiedlichem Erwartungsdruck durch „die Gesellschaft“ ausgesetzt, und profiliert sich u.a. gerade dadurch, daß sie diesem Druck auch „kritisch“ widersteht (was sie durch Berufung auf ihre Autonomie und „akademische Freiheit“ legitimiert). Am Münkler-Fall lassen sich diese möglichen Konfliktlinien zwischen dem selbstbestimmten Innen und dem Druck-ausübenden Außen der Universität gut nachzeichnen: ein Professor, der auch außerhalb der Universität eine öffentliche, politische Rolle spielt, erfährt Widerstand und Kritik für sein Tun innerhalb der Universität, dies allerdings nicht im üblichen Modus inner-universitärer Auseinandersetzung (eben: Interaktion unter Anwesenden), sondern in der Form von Kommentaren, die sich außerhalb der Uni positionieren (durch die Anonymität, durch die stellenweise nicht wissenschaftliche Sprachform, durch die Publikationsform und die damit angesprochene Öffentlichkeit, durch vergröbernde Bezugnahme auf außeruniversitäre Gesellschaftstendenzen wie Sexismus, Rassismus, usw.). Auch alle anderen Fallstudien, die zum jeweiligen Diskussionsanlaß der gemeinsamen Überlegungen gewählt wurden, lassen sich auf diese Innen/Außen-Unterscheidung der Universität beziehen: nicht-akademische Publikations- und Schreibweisen soziologischer Gesellschaftsbeschreibung, nicht-wissenschaftliche, privatistisch-tagebuchartige mündliche Denkprotokolle, nicht-systematische Lehre anhand konkreter Problemlösungs-Aufgaben in der real world, nicht-offizielles, unzuständiges Engagement zur Außendarstellung der Universität durch Alumni, anti-wissenschaftliche inneruniversitäre Gesprächs-Verweigerung mit nicht-akademischen Verkündern unbequemer „Wahrheiten“ – immer geht es um das problematische Kreuzen von Grenzen, die die Universität um sich und ihr (deswegen aber keineswegs einfach zu definierendes) „Proprium“ zieht und vielleicht ziehen muß, bzw., nach Ansicht Anderer, nicht mehr länger sinnvoll zu ziehen braucht.
Ohne hier auf all die sicher wichtigen, ausschlaggebenden Einzelheiten einzugehen: mir scheint, daß offenbar vor allem das bereits genannte universitäre Fundamentalprinzip in der Krise und in der Kritik steht: die Anwesenheit, also die Annahme der Notwendigkeit von Face-to-Face-Kommunikation. Die constraints, die mit ihr verbunden sind (und die ja auch als Einschüchterung, als Moderation, als Distanz-Verhinderung wirken) sind gerade für (wissenschaftliche) „Kritik“ notwendig, denn sie zwingen dazu, auch Kritik und Ablehnung so zu formulieren, daß sie „ins Gesicht gesagt“ werden können, also als unpersönliche, auf Gründen und Argumenten basierende Kritik auftreten. Die „Anwesenheit“ in der Universität, anders als Anwesenheit in fast allen anderen Kontexten, entpersönlicht und entbindet jeden Sprecher (und jeden dort Angesprochenen) von nicht-sachlichen, nicht wissenschaftlich thematisierbaren Residualverantwortlichkeiten. (Deswegen hat die Flucht ins Außeruniversitäre, ins Para-Akademische, in die Selbst-Marginalisation auch immer zumindest den Anschein des Versuchs einer Flucht ins Unkritisierbare, ins wissenschaftlich nicht Belangbare – unter dem Motto: man wird ja noch reden, schreiben, sprechen dürfen. Natürlich darf man. Aber ersetzen hohe Klickzahlen und jede Menge „likes“ die harte, anspruchsvolle, der Sache auf den Grund gehende Konfrontation?).
Richtig bleibt jedoch, daß die normative Idee der universitären Interaktion unter Anwesenden ausgedient zu haben scheint. Das wurde in den „drei Tagen Zeit“, anwesend auf dem Anwesen des Guts Siggen, nicht zuletzt dadurch klar, daß gerade die, die am stärksten für die Obsoletheit dieser Idee plädierten, selbst über weite Zeitstrecken i.e.S. nicht anwesend waren. Die sich vom laufenden Gespräch kontinuierlich intermittierende Verabschiedung durch die angelegentlichste Beschäftigung mit dem eigenen Handy und dem eigenen Laptop auch in kleinster Runde demonstrierte augenfällig die Nicht-mehr-Voraussetzbarkeit dieser Voraussetzung. Wenn man sich, obwohl man gerade eben noch mitgeredet und mitdiskutiert hatte, umgehend wieder mit Dingen außerhalb des laufenden Gesprächs befaßt (und obwohl die Folge-Rednerin direkt Bezug auf den gerade eben noch der Runde mitgeteilten Beitrag nimmt, man selbst also gerade Gegenstand des Gesprächs ist!), zeigt, daß es offenbar weitgehend unmöglich geworden ist, auch in „drei Tagen Zeit“ noch eine Dauer-Synchronisation der Eigenzeiten aller Anwesenden herzustellen. Wer über die Fast-Echtzeit-Medien wie Blog oder Podcast gebietet, muß wahrscheinlich die wirkliche Echtzeit, das Präsens und die Präsenz, aus seinem Sichtfeld verlieren, einem Sichtfeld, das sich dann zunehmend reduziert auf das eigene selbst(be)spiegelnde Display. Stefan Schulz hat wahrscheinlich Recht: die alte Universität scheitert an den radikalen Möglichkeiten neuer Kommunikationstechnologie, weil diese das Außen der Universität so vehement und scheinbar unwiderstehlich in ihren Innenraum eindringen läßt, daß der permanente Aufmerksamkeits-Exit keine Option mehr, sondern ein kollektiver Zwang zur Selbstisolation ist. Drei Tage Zeit in best-umsorgter holsteinischer Isolation: als einziges Manko wurde von den TeilnehmerInnen die langsame Internetverbindung gerügt…
Twitter-Kommentare 2.12.
Das sind interessante Beobachtungen von außen ins digitale Duplikat unserer Gespräche. Die augenscheinliche Technologie wurde meinem Empfinden (und meiner konkreten Erfahrung) nach in erstaunlichem Maße in die Interaktion eingebracht und für sie genutzt. Sie diente kaum dem Exit aus der Diskussion. Mein Laptop (den ich meistens vermeide, weshalb ich lieber zwei kleine iPads auf dem Tisch habe und eine Tastatur auf dem Schoss unter dem Tisch), diente in keiner Minute als Internetzugang – sondern war sogar im energiesparenden Flugmodus. Fürs große Netz nutze ich allein das Smartphone und selbst diese Verwendung des Geräts bestand über die Maßen in der Nutzung der WhatsApp-Gruppe, die keine Teilnehmer außerhalb des Raumes hatte und die dadurch eigentlich nur einem diente: Der Begleitung unserer Gespräche im Raum.
Wir haben wirklich zu wenig über Technologie geredet. Mit ihr droht wahrscheinlich viel weniger Gefahr des ständigen Exits, als das Risiko, die Potenziale eines Gesprächs zu fünfzehnt ins Radikale auszubeuten. Mit Notizen auf Papier und einer Schreibmaschine auf dem Zimmer hätte ich weniger von unseren Gesprächen verstanden und wäre nicht in der Lage gewesen, sie für mich (und andere) laufend zu dokumentieren.
Joachim Landkammer
Klarzustellen ist: kaum sinnvoll zu führen ist die Debatte als Vorwurf. Entre nous: ich absentiere mich selbst oft auch geistig mit Hilfe meines Laptops auch aus verschiedenen langweiligen Gremiensitzungen. Aber meine Frage war ja, ob Universität als Lehr-, Lern- und Forschungszusammenhang zwingend durch Interaktion unter Anwesenden funktionieren muß (R. Stichweh hat ja darauf hingewiesen, daß schon der Buchdruck sie überflüssig gemacht hätte, wenn das nicht so wäre) und ob diese Interaktionsform durch die allfällige Internetkommunikation nicht empfindlich unterminiert wird. Mein Eindruck ist: die Ansicht, daß eine solche Interaktion unbeschadet weiterlaufen kann, basiert auf unterschätzende Fehlannahmen über die Möglichkeit des intermittierenden Zuhörens, über die Fähigkeit des problem- und verlustlosen Sich-Ein- und Ausklinken-Könnens in laufende Gespräche, über die Kontinuität und Stringenz eines laufenden Diskurses. Mir scheint, eine gemeinsame Live-Diskussion wird von jedem temporären Internet-User wahrgenommen wie eine Kaufhaus-Hintergrundmusik oder ein am Frühstückstisch mitlaufender Fernsehers: man kommt schon „rein“ und „mit“, auch wenn man nicht dauernd hinhört und -sieht. Das könnte ein Irrtum sein. Bzw.: die Qualität der Diskussion gleicht sich diesen Erwartungen an (das Fernsehen „macht“ dann eben auch nur noch Sendungen, bei denen man nicht mehr dauernd zuschauen muß). Ob dann, wie Stefan Schulz suggeriert, dieser Verlust an Vor-Ort-Qualität durch ihre Verbreitung (ihre „Ausbeutung ins Radikale“) und Dokumentation für Abwesende wettgemacht werden kann und soll, wage ich zu bezweifeln.