Was Menschen können (werden)

Zur Podiumsdiskussion „Künstliche Intelligenz als Apokalypse?“ mit Jan Söffner, Hans Ulrich Gumbrecht und Sam Ginn (11.2.2020)*

Aus dem großen Reservoir an möglichen Stellungnahmen und Einwänden zu dieser Diskussion sei zunächst nur dieser eine Punkt ausgewählt: Sam Ginn, der hochdotierte forsche Start-Up-Gründerstar, meinte, die Lächerlichkeit unserer Vorstellung, den Rechnern und der „künstlichen Intelligenz“ etwas voraus haben zu können, damit illustrieren zu können, daß er behauptet, wir hätten bisher einfach als spezifisch „menschliche Kompetenz“ immer nur das definiert, was die Maschinen gerade noch nicht können, nur um dann, sobald sie genau das angeblich Maschinen-Unmögliche wider Erwarten dann doch „können“, schnell die Latte ein Stückchen höher zu legen und wieder zu meinen, diese nächste Anforderung sei nun aber wirklich nur für einen Menschen zu lösen – worauf dann abermals die Rechnerleistungen nachgezogen seien… undsoweiter undsofort. Man mag ein solches manipuliertes „intelligence race“ mit Etappen-Beispielen wie denen des Schach- und Go-Spiels, der Bilderkennung, der automatischen Übersetzung gut belegen können – aber ob man deswegen die suggerierte Interpolation der unaufhaltbaren Überholbarkeit aller angeblich spezifisch menschlichen Leistungen durch eine unbegrenzt jede Hürde nehmende zukünftige artificial intelligence akzeptieren muß, bleibt dennoch noch eine offene Frage. Aus der bisherigen, wiederholten Unterschätzung dessen, was Computer können und können werden, folgt ja noch lange nicht, daß man sie gar nicht mehr überschätzen kann und daß man folglich ihnen alles Menschen(un)mögliche zutrauen muß. Daß wir (?) uns mit früheren Fehlprognosen lächerlich gemacht haben, heißt noch nicht, daß uns gar kein Recht auf eine realistische, kritische und trotz allem nach wie vor skeptische Einschätzung der bevorstehenden Ereignisse mehr zusteht.

Es heißt nur, daß man sich vielleicht auch diese früheren Einschätzungen und ihr Zustandekommen genauer ansieht. Und z.B. die provokante Frage stellt, was denn an ihnen so falsch gewesen sein soll. So könnte man etwa die Aussage „Ein Computer wird nie (wirklich gut) Schach spielen können“ dadurch, daß 1996 „Deep Blue“ gegen den Weltmeister Garri Kasparow ein paar Spiele gewinnt, für noch nicht wirklich widerlegt halten; denn „Spielen“ i.e.S. beruht ja auf fehlbarem, zögerlichem, sich-selbst-in-Frage stellendem und emotional beteiligtem Handeln-(Können). Ein Computer „spielt“ Schach nur wie ein zwar blitzschneller, aber trotzdem extrem langweiliger Pedant, der alle Tricks auswendig gelernt hat. Er „spielt“ Schach so wie ein automatischer Staubsauger einen Raum sauber macht: stumpfsinnig, mechanisch, phantasielos (und übrigens, für die Augen jeder Expertin, imperfekt). (Und daß gerade der Schachsieg eine relativ geistlose Intelligenzleistung sein kann, hatte ja Stefan Zweigs Schachnovelle bereits thematisiert).

Die allgegenwärtigen AI-Enthusiasten, von denen auch am Dienstag im Forum viele gläubig-staunend an den Lippen des smarten Silicon-Valley-Youngsters hingen, werden sich natürlich über mein völlig veraltetes Bild von künstlicher Intelligenz mokieren, weil das ja nicht berücksichtige, was heutzutage schon möglich sei als „selbstlernende Programmierung“, maschinelle Kreativität“, „digitaler Emotionalität“ und was andere heutige AI-Wunderleistungen aus den neuen Frankenstein-Labors bei Stanford mehr sein mögen. Aber der Fehler der so vorschnell bespöttelten früheren Falsch-Prophezeiungen war ja nicht der, daß man die Leistung der Maschinen, sondern daß man die Leistung des Menschen dabei falsch eingeschätzt bzw. beschrieben und gedacht hatte.  Man hatte gedacht, „Schach spielen können“ heiße „ein Schachspiel gewinnen“, man hatte gedacht „einen Text übersetzen können“ heiße „eine verständliche Entsprechung in einer anderen Sprache finden“, man hatte gedacht, eine „emotionale Beziehung zu jemandem aufbauen“ heiße ihm „pausenlos mit einer möglichst sinnlichen  Computerstimme süßlichen Unsinn ins Ohr zu flüstern“ (wie das der Film Her durchspielt). Die wirkliche und einzige Herausforderung, vor die uns die aktuellen wie künftigen Entwicklungen der AI stellen, ist nur die, daß der Mensch sich selbst – das Humanum – besser, genauer und anspruchsvoller in den Blick fasst und von sich selbst eben, trotz aller angeblichen früheren Kränkungen, immer mehr erwartet als das, was diese Maschinen, ihn nachäffend, zu „können“ glauben. Aber diese Erwartung begründet keine nachlaufende, von der „Singularity“-Angst getriebene Eskalierung immer höher angesetzter Kriterien für die humane Superiorität, sondern sie fundiert eine philosophisch, anthropologisch und kulturwissenschaftlich informierte Wesensbestimmung, die den Menschen als endliches, unglückliches, zu Selbstreflexion und Bewußtsein gezwungenes Tier zeigt, dessen einzelne Fähigkeiten durch Werkzeuge und Maschinen (Knüppel oder Weltraumschiffe) vielleicht partiell verbessert und partiell imitiert, aber nie wirklich ersetzt oder gar überflüssig gemacht werden können.

Vielleicht sollte man die gestern demonstrierte Hybris des algorithmischen Menschenüberwinders mit bodenständigster, hinterwäldlerischer Ironie konterkarieren. Denn nachdem ja gestern permanent die verschiedenen Species Tiere / Menschen / Intelligente Maschinen in diversen „Streichelzoos“ vor und hinter den Gitterstäben bemüht wurden, darf man sich vielleicht eine ähnlich kompetitive Einschätzung dessen, was Menschen und was Tiere „besser können“ durch einen alten Prosatext von Heinz Erhardt erläutern lassen: „War Goethe ein größeres Wunder als eine kleine Fliege?“, heißt ein Klassenaufsatz-Thema, so erzählt er und kommt in den entsprechenden schulischen Ausführungen zu einem überraschend abschlägigen Bescheid: „Sieh, wie sie [die Fliege] so an der glatten Wand entlang wandelt /als sei das die einfachste Sache von der Welt / und sieh, wie sie ihr Gefieder glättet / und sich mit dem hintersten Bein ganz vorne am Kopfe kratzet / und jetzt, jetzt erhebt sie sich gar in die Lüfte / und flattert durchs Zimmer / und nun nimmt sie auf dem west-/östlichen Divan Platz, / doch nicht lange, schon wieder durchflügt sie den Raum und landet schließlich etwas echauffiert auf deiner Nase – / konnte das Goethe?“.

Genau: nie, nie werden wir können, was intelligente Maschinen können…

 

* Vielleicht darf an dieser Stelle ein Hinweis nachgeschoben werden, der bei der Veranstaltung leider unterblieben ist: diese Podiumsdiskussion wurde ermöglicht durch eine großzügige Förderung durch die Zeppelin-Universitätsgesellschaft (ZUG).

 

 

 

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

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