TWA ND 1

Vorbemerkung: Die Abkürzung steht weder für eine zu Recht verendete Fluggesellschaft noch für eine zu Unrecht überlebende Tageszeitung, sondern übertitelt in lockerer Reihenfolge meine Diskussionsbeiträge und Kommentare zur laufenden gemeinsamen Lektüre von Theodor W. Adornos „Negativer Dialektik“ (im „Spiritus-Kreis“ der Zeppelin Universität, Friedrichshafen).
Folgendes zu den 3 1/2 Seiten der „Vorrede“. (Kursiv gesetzte Worte zwischen Anführungszeichen geben den O-Ton Adornos wieder).

Adornos Einleitung will von vornherein eine Reihe möglicher Mißverständnisse in Form von falschen (überzogenen?) Erwartungen an dieses Buch abwehren: wer meint, der Philosoph, der bisher immer nur „inhaltlich“ und „angewandt“ philosophiert bzw. publiziert hat, wird hier nun endlich und gefälligst die (von ihm qua „Beruf“ und „Fachmenschentum“ zu erwartende, einzufordernde) „reine“ Philosophie nachliefern, wird zurechtgewiesen, daß diese Unterscheidung zum Einen nicht gilt (es gibt keine „Grundlage“, gegenüber der alles andere „sekundär“ wäre). Zum Anderen wird aber dieser Erwartung aber doch zumindest insoweit entsprochen, als eine nachgelieferte „Methodologie“ angekündigt wird, ein „Weg“ (der Begriff „Weg“ steckt im griechischen methodos) soll „aufgezeichnet“ werden von der Abstraktion (deren angeblich Benjaminscher „Eiswüste“) zum Konkreten. Gleichwohl muß es verwirren (und das ist wieder eine Erwartungs-Enttäuschung), daß dieser Weg ausdrücklich als ein unterbrochener, ein diskontinuierlicher markiert wird. Was soll das heißen? Vielleicht: die Methode läßt sich nicht herausdestillieren aus den „materialen Arbeiten“, sie ist nicht deren formale Struktur, das Skelett, das man jetzt hier endlich einmal „fleischlos“ betrachten könnte (wie an dem Modell beim Hausarzt). Sondern die in der ND dargestellte „Methodologie“ ist das gleiche Verfahren wie vordem, aber hier nochmal auf sich selbst angewandt; durch diese Selbstreferenz (nicht umsonst fällt hier der Begriff „Selbstbewußtsein“ als Instanz des Denkens, nicht des Individuums!) transformiert es sich inhaltlich und strukturell in etwas Anderes als ein bloßes Gerüst, als ein abstrahierter Schematismus. Diese neue, selbstreferentielle Weise von Adornos Philosophieren kann also, mangels formaler, deduktiver, axiomatischer Anschlußmöglichkeiten, das bisherige „Verfahren“ Adornos nicht „begründen“: aber es kann es „rechtfertigen“: vielleicht dadurch, daß es zeigt, daß diese Art der  Selbstanwendung, diese„Inhaltsgewinnung an sich selbst“, die philosophische Denkmethode nicht zum Leerlauf, nicht zum Schweigen oder zu einem weltfremden Solipsismus zwingt. Allerdings bringt diese Sonderform einer philosophia pura eine neue Art der Transparenz, der Selbstentblößung mit sich: das könnte mit der Wendung der jetzt „auf den Tisch gelegten Karten“ gemeint sein: Adornos Philosophieren wird offensichtlicher, „verwundbarer“, angreifbarer (alles sog. „angewandte Denken“ kann sich ja immer auf „Praxisrelevanz“ und „Welthaltigkeit“ usw. herausreden). Aber Adorno fügt gleich hinzu, daß, wer meint, ihn damit „durchschaut“ zu haben (und diesen Text als überfälliges „Geständnis“ wertet, wie der letzte Satz andeutet), damit allerdings noch lange nicht das „Spiel“ selbst verstanden hat. Man hat nämlich – so könnte man das deuten – in der ND nicht das Rezept, das Muster vor sich, nach dem die früheren Arbeiten konstruiert sind, man wird hier keinen „Blick hinter die Kulissen“, oder „über die Schulter“ oder „in die Werkstatt“ werfen dürfen. Wir sehen, will uns der auch sich selbst vor jeder „Identifizierung“ schützende Adorno vielleicht sagen, in diesem Text immer noch nicht „DEN Adorno“, sondern eben auch nur einen „weiteren Adorno-Text“. Das kontrastiert mit, aber widerspricht vielleicht nicht dem angedeuteten Bekenntnis, daß es hier auch aus der Sicht des Autors (nicht nur des wartenden Publikums) um eine lange vor sich hergeschobene, endlich überfällige Arbeit geht: A. sagt hier, was er „schon immer mal sagen wollte“, schon seit er „den eigenen geistigen Impulsen vertraut“. Also doch ein finales Testament, ein lang gereiftes „Spätwerk“? Aber warum rechnet er dann mit der Möglichkeit, daß das Publikum gar nicht so überrascht ist, sondern bestimmte Leute meinen können, „sie hätten es immer gesagt“?  Hier scheint doch wieder eine Befürchtung anzuklingen, die aus der hier vorliegenden exponierten, quasi-exhibitionistischen Selbstdarstellung verbunden ist (oder zumindest die Angst, daß dieser Text als eine solche mißverstanden wird).

Vielleicht will A. einfach nur sagen: ich zeige hier zwar tatsächlich „mehr“ von meinem eigentlichen Anliegen als in meinen früheren Arbeiten, es ist ein „intimerer“, weil „philosophischerer“ Text. Adorno „erklärt sich“ hier, er schreibt eine confessio. Aber in deren Mittelpunkt steht dennoch „nur“ ein „Anti-Held“, ein brüchiges, nicht-identifizierbares Subjekt, über das, auch nach dem „Geständnis“, nichts Positives, Systematisches, Eindeutiges zu wissen ist. Die „Negative Dialektik“ wird eröffnet mit einer negativen, i.S. von aporetischen Dialektik von Selbstpreisgabe und Selbstverhüllung.

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

3 Antworten zu TWA ND 1

  1. Maren Lehmann sagt:

    wer, wenn nicht ein gebrochener held, könnte sich bekennen, ohne sich zu korrumpieren? sich bekennen zum bruch, zu der brechung seiner selbst?

    die wüstenmetapher selber ist das bekenntnis.

    kann man sich zu einer metapher affirmativ verhalten? (und wen, wenn dies möglich wäre, bezeichnet dieses „man“, wenn nicht ein gebrochenes „ich“?)

    vgl. shakespeare, the tempest: „we split!“

  2. Joachim Landkammer sagt:

    Aber warum überhaupt noch „Held“ (wenn auch in der Form des „brüchigen“ Antihelden)? Das ist ja dann auch die Frage des Buchs: warum immer noch System, wenn auch als negativ-dialektisches „Anti-System“? Stammt die ganze Widersprüchlichkeit und Paradoxie, in der A. sich hier und anderswo „suhlt“, nicht aus dem hartnäckig-dickköpfigen Festhalten am „eigentlich“ Überholten, nämlich an „Philosophie“ („nachdem der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward“: schon dieses „ward“ ist ja Wort gewordener nostalgischer Anachronismus…). Der alte Prof. Adorno: Immer noch eiswüstenerfahrener Antarktis-„Held“, nach gescheiterter Mission – vgl. C.D. Friedrichs „Eismeer“ – , nicht etwa „nur Narr, nur Dichter“ (Nietzsche).

    • Maren Lehmann sagt:

      Denke ich auch. Warum System? Wozu Systeme? Das sind (Anti-)Helden-Fragen. Mir scheint es sicher, dass Adorno sich im Panthéon unterzubringen versucht hat, nach – wegen – gescheiterter Mission. Nicht als Narr, sondern als Verlorener. „ND“.

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