TWA ND 5

Vielleicht philosophiegeschichtlich das letzte Mal tritt uns in A.s Philosophie ein Alleinvertretungsanspruch von Philosophie „überhaupt“ gegenüber, die normative Vorstellung, daß nur die eigene Philosophie die einzig mögliche und verantwortungsvoll vertretbare, auf der Höhe ihrer Zeit verortete Philosophie darstellt: Adorno auch darin ein getreuer Nachfolger Hegels (und Marx‘). Vor allem deswegen muß sie sich nicht nur von den möglichen konkurrierenden Ansätzen, wie den phänomenologischen und v.a. Heideggerianischen absetzen, sondern diese auch für falsch, Ideologisch, und rundweg gefährlich erklären. Im Falle von Heidegger ist das um so dringlicher, als A. sehr wohl wahrgenommen hat, daß sein nationalsozialistisches Engagement für das Nachkriegseuropa ihn nicht desauvoiert, ja ihm kaum geschadet hat, sondern daß sich im Gegenteil Heidegger praktisch als „der“ Philosoph des 20. Jahrhunderts erwiesen hat. A. wird auch spüren, daß Heideggers (von seinen Deutschtümeleien und seinem quasi unübersetzbaren neologistischen Jargon ungehinderte) internationale Faszination nicht zuletzt aus der Radikalität seines originären Neuanfangs, seiner fast bornierten, hinterwäldlerischen Traditionsvergessenheit herrührt. A. weiß, daß er mit der Verhaftung seines eigenen Denkstils in einer zwar ruhmreichen, aber doch auch kompromittierten idealistischen Denktradition, mit seiner Position innerhalb einer (Frankfurter) „Schule“ und einer bestimmten („Kritischen“) Theorie,  zunächst keine vergleichbare Originalitätsvermutung wie der einsame Schwarzwaldphilosoph in die intellektuelle Öffentlichkeit vermitteln kann. Nicht zuletzt deswegen muß sein Bestreben dahin gehen, zu zeigen, daß sein Konkurrent Heidegger eben kein genialer homo novus, kein historisch nicht lokalisierbarer, neuer einsamer Stern am Philosophenhimmel ist, sondern ein aus den sozialen und historischen Zusammenhängen nur allzu leicht erklärbarer, fast aus ihnen „ableitbarer“ Vertreter einer bürgerlichen Philosophie in ihrer irrationalistischen spätkapitalistischen Phase ist. Daß der Faschist Heidegger auch postfaschistisch noch zu Ehren kommt, beweist dann nur, was der Neomarxist A. eh schon wußte: den latenten, nicht bewältigten westlichen bürgerlichen „Faschismus“ nach 1945.
Interessant an der „Überwindungs“-Strategie, die A. gegen Heidegger aufwendet, scheint dann lediglich der ab und an versteckte Hinweis auf die dann doch auch teilweise „richtigen“ und bewahrenswerten Intuitionen im Ansatz Husserls und Heideggers – und wie von seiten von A. damit umgegangen wird. So wird den beiden konkurrierenden Philosophen S. 87 zugestanden, daß ihr Verfahren doch sein „fundamentum in re“ habe und ihnen daher – wörtlich für einen „Moment“ – Recht gegeben werden muß; denn es wird zugestanden, daß der „kategorialen Anschauung“ „ein Moment korrespondieren muß“. Was für ein „Moment“? Ein Moment der Ähnlichkeit, der Gleichheit, eine über Kants Unerkennbarkeit des Dings an sich hinausgehende Übereinstimmung zwischen Denken und Sein, eine Übereinstimmung, die uns das Denken auch als ein mimetisches „sich Anmessen“ vorstellen läßt, kein aktives, selbsttätiges Konstruieren und „Synthetisieren“. Und hier findet der anti-idealistische (marxistische) Realist und „momentane“ Vertreter einer Korrespondenz-Theorie der Wahrheit T.W. Adorno dann sogar einen „momentanen“ Verbündeten gegen Hegel – in Heidegger! Daß dieser nämlich „den Aspekt des Erscheinens gegen dessen vollkommene Reduktion auf Denken hervorhebt, wäre ein heilsames Korrektiv des Idealismus“ (88). Heideggers Verständnis von „Phänomen“ aus „Sein und Zeit“ („das Sich-an-ihm-selbst-zeigende“), und sein Verständnis von Phänomenologie („das was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen“) findet hier also für einen „Moment“ Adornos Zustimmung, gegen Hegel. Aber sofort wechselt die Szene: genau dieser doch eben noch zurückgewiesene, korrigierte Hegel darf sofort wieder mit seinen bekannten Waffen „zuschlagen“; denn Heidegger setzt sich laut A. dadurch in Unrecht, daß er dieses „Moment des Sachverhalts“ „isoliert“ und es „nach Hegels Terminologie, abstrakt faßt“. „Hypostasiert“ (ein Hegelscher Lieblingsbegriff) „hört es auf, Moment zu sein, und wird … verdinglicht“. Usw. Man hört: die Hegelsche Denkmaschine, die eben noch kurz gestottert hat, fängt sofort wieder an zu rattern. Heideggers Fehler also: zwar ein Idealismus-Überwinder, aber kein Hegelianer, kein Dialektiker zu sein. Adornos Programm: ein dialektischer, posthegelianischer, „besserer“ Heideggerianer (und nicht nur ein Heidegger-Überwinder) zu werden?

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Über Joachim Landkammer

Joachim Landkammer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunsttheorie und inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität.

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