Nachtrag zur gestrigen Diskussion:
Was ich gestern mit der Andeutung einer möglichen Verbindung von „Hegel und Faschismus“ meinte (verstehe ich jetzt selber erst…), war nicht der NS, sondern tatsächlich der italienische Faschismus. Ein Hegelianer und „Neo-Idealist“ wie Giovanni Gentile hat von Hegels politischer Philosophie her kommend eine Staatsphilosophie in faschistischem Sinn („stato etico“) begründet, die zumindest in den Anfangsjahren des Fascismo sehr einflußreich gewesen ist (Gentile war unter Mussolini Erziehungsminister, u. das „intellektuelle Aushängeschild“ der it. Faschisten, usw.). Die Lektüre, die einer wie Gentile von Hegels „Grundlinien“ macht (er hat 1916 ein Buch fast mit dem gleichen Titel vorgelegt: I fondamenti della filosofia del diritto) könnte uns evtl. etwas über die „Verwendbarkeit“ von Hegels Philosophie in Richtung einer Doktrin des „totalitären Staats“ verraten. Aber man kann natürlich auch sagen, daß das „rein gar nichts“ über Hegel aussagt und mit dem, was er „eigentlich“ meint, „gar nichts“ zu tun hat…
Genauso wie sich natürlich Poppers Hegelkritik in der „Offenen Gesellschaft“ von vornherein als voreingenommen und stümperhaft disqualifizieren läßt; das hat W. Kaufmann 1951 schon getan (nachzulesen hier). Kaufmann weist übrigens, zur Rechtfertigung der Wirklichkeit-Vernünftigkeits-Gleichung (die Popper auf „Äquivokationen“ zurückführt), ebenfalls auf Hegels Relativierung in der Enzyklopädie hin („Wenn ich aber von Wirklichkeit gesprochen habe, so wäre von selbst daran zu denken, in welchem Sinne ich diesen Ausdruck gebrauche,“ usw., vgl. Enz. 1, § 6 Zusatz). Kaufmann meint dann, daß Hegels Gleichung plausibel wird, wenn man sein „wirklich“ (im Engl.) mit „actual“ und nicht mit „real“ übersetzt, weil es um den Gegensatz zu (nur) „möglich“ gehe. „Eine Eichel ist sicherlich real (real) genug im gewöhnlichen Sinne des Wortes, aber sie ist nicht, im Hegelschen Sinn des Wortes, wirklich“ (im Orig. gesperrt). Hilft das aber wirklich (really) weiter? Man darf, nur im Vorübergehen, an die übliche Immunisierungsstrategie denken, die mit der Unterscheidung von „gewöhnlich“ i.S.v. „empirisch, zufällig“ und „eigentlich“ i.S.v. „wesentlich, wirklich“ jegliche Kritik am Bestehenden abwehrt (etwa Kritik am Kommunismus, weil ja der „real existierende Sozialismus“ noch lange nicht der „eigentliche Sozialismus“ war, usw.). (Auch hier wieder darf man einwenden: hic Rhodus…)
Für mich hier interessanter aber, daß Kaufmanns Verteidigung von Hegel vor dem Popperschen Vorwurf einer Nähe zum NS genau darauf hinausläuft, ihm eine Auffassung zuzuschreiben, die er mit anderen „tiefreligiösen Persönlichkeiten“ teilt, die „in Hegels Geist religiös verwurzelt war“, und die er auch mit dem Hinweis auf die „beste aller möglichen Welten“ von Leibniz oder mit einem „aufrichtigen Glauben an Gott“ exkulpieren zu können meint, und die sich bei Hegel dann immerhin zu einer „Gefahr“ zu verdichten droht, die er mit einem „Traditionalismus“ bezeichnen will, bei dem „die Kritik zu kurz kommt“.
Die Frage nach der möglichen Aktualität (nicht: „Wirklichkeit“…) Hegels könnte also von der Frage abhängen: gibt es eine laizistische, nicht-theologische, nicht-traditionalistische UND nicht-totalitäre Lesart der GdPdR?